Monat: März 2017

Die Flucht aus dem Opferstatus rein in die Kriminalität – und über Kriegskunst

Vor ein paar Tagen habe ich an eine tschechische Prostituierte gedacht, mit der ich in einem Club gearbeitet und zusammen gewohnt habe (wir hatten beide unsere kleinen „Abstellzimmer“ im Keller). Als wir uns damals in diesem Bordell kennenlernten waren wir uns ziemlich unsympathisch, aber nach und nach sind wir immer weiter zusammengewachsen. Wir halfen uns mit und während den Zimmergängen, wir versuchten unser Dasein trotz all des Elends aufzuheitern. Zudem musste ich auch an die Bordellbetreiberin und die Co-Chefin des Nachtclubs denken. Letztere war selbst eine Prostituierte, wurde aber immer mehr in den Bordellbetrieb integriert und eingearbeitet. Sie ließ die Prostitution langsam hinter sich, sollte irgendwann den Club übernehmen.

Auch die tschechische Prostituierte arbeitete in diesem Bordell immer häufiger hinter der Bar als Bedienung und nahm dort weitere Aufgaben außerhalb der Prostitution wahr, saß auch an der „Rezeption“. Genau wie die Co-Chefin zuvor befand sie sich ebenfalls in einer Art Vorstufe um irgendwann in die Fußstapfen der Bordellbetreiberin zu treten. Sie hatten guten Kontakt, so wie auch ich in diesem Club guten Kontakt zu den „Frontleuten“ hatte. Die Menschen in diesem Etablissement schienen mit der Zeit wie eine Familie für einen in diesem haltlosen Leben, weil man nichts anderes, niemand anderen, hat. Es kommt der Zeitpunkt, wo man anfängt sich mit ihnen zu identifizieren. Sie wurden damals auch wie eine Familie für mich, was meinem Zuhälter gar nicht gefiel.
Er brachte mich ursprünglich dorthin um für ihn zu „arbeiten“– und als er irgendwann den engeren Kontakt zwischen den oben genannten Frauen und mir mitbekam versuchte er diesen zu verhindern, denn er hatte Angst davor, seinen Einfluss auf mich zu verlieren und seine Angst bestätigte sich – ich hatte Ansprechpartnerinnen und auch eine Art Schutz gefunden.

Natürlich kann man diese Menschen dennoch nicht als Familie bezeichnen, weil alles zum großen Teil ein „Bei-Laune-Halten“ war damit ich gut funktionierte und ihrem Club Geld brachte, so auch bei der Tschechin. Man nennt das im Rotlichtmilieu „posieren“. Dennoch kam ich zumindest von meinem Zuhälter immer weiter weg. Damit war mir ein großer Schritt in Richtung Freiheit möglich.

Trotzdem war aber auch die Bordellbetreiberin eine Zuhälterin. In ihrem Club lief es so ab, dass man vom Freier vor dem Zimmergang das Geld kassierte, es an die „Rezeption“ brachte und einem am Ende der Nacht eben 50 % von jedem Freier ausbezahlt wurde. Das war der Grund, warum wir keine Tagesmiete zu zahlen hatten, welche Prostituierte oft in immense Schulden katapultiert, da sie meist unabhängig vom Verdienst zu entrichten und oft sehr hoch angesetzt ist. Wenn in diesem „Laden“ hier kein Freier kam, dann liefen wir alle, inklusive der Betreiberin, Stier. Dafür, dass wir dort wohnten, mussten wir nichts bezahlen.

Dieser Club war von der Struktur her der korrekteste den Frauen gegenüber, welchen ich in meiner Zeit in 6 Jahren Rotlichtmilieu gesehen habe und dennoch war er eine menschliche Katastrophe. Allein von der Prostitution her an sich, aber vor allem auch, weil man als BetreiberIn eines Bordells immer vor der Frage steht: wo bekomme ich Frauen her? Selbst wenn Menschenhandel nicht von den BetreiberInnen selbst ausgeht, dann kommt er trotzdem durch die Eingangstüre herein.

Ich habe oft erlebt, wie dunkle Gestalten „ihre Frauen“ zum Anschaffen in den Club brachten. Wie hier und da über Dinge getuschelt wurde, die ich eigentlich gar nicht hätte hören sollen… Es sind und bleiben krumme Geschäfte. Auch wenn man es wollte, das Rotlichtmilieu funktioniert nicht komplett ohne krumme Dinger zu drehen. Wer diesen „Job“ als BetreiberIn macht, wird auch in diese Geschäfte mit einsteigen. Deshalb ist kein Laden, den ich betreten habe, „sauber“ gewesen. Und es wird auch in Zukunft trotz des neuen Gesetzes keiner sauber sein, zumindest die Masse nicht, denn es ist einfach nicht möglich „von allein“ je nach Clubmodell so 10-100 Frauen (vielleicht auch noch irgendwo weniger oder mehr) vor Ort zu haben, und zwar meist immer unterschiedliche, oft wöchentlich wechselnde, für jeden „Geschmack“ etwas dabei. Wenn jemand ernsthaft glaubt, die laufen alle von allein und aus freien Stücken in diese Etablissements, weil sie sich so gerne prostituieren, dann rate ich jedem aufzuwachen und seinen logischen Menschenverstand einzuschalten!

Ich konnte mir jedenfalls zu dieser Zeit nicht vorstellen, die Leute in diesem Club, welche für mich meine „neue Familie“ darstellten, zu verlieren. Bis ich irgendwann natürlich begriffen habe, dass ich nur „Familienmitglied“ sein kann, wenn ich Teil des Rotlichtmilieus bleibe – welcher Teil auch immer.

Dieser Schritt, von ihnen wegzugehen, war schwer, weil ich diese Menschen lieb gewonnen hatte. Ganz egal wer sie waren, was sie von mir wollten, sie stellten einfach meine einzigen Bezugspersonen dar. Ich hatte niemanden sonst. Meine Kontakte in die „Außenwelt“ waren schon seit Jahren längst alle abgebrochen. Nichtsdestotrotz wusste ich, dass sie mir nicht gut taten, nein falsch, dass mir dieses Leben nicht gut tat. Niemandem tut dieses Leben gut – in Wahrheit auch ihnen nicht. Nebenbei erwähnt habe ich zwei ganz liebe Menschen in meinem wirklichen Familienkreis, welche damals aber keine Chance hatten, auf all das Einfluss zu nehmen… Dafür habe ich sie jetzt und dafür bin ich sehr dankbar.

Als ich vor ein paar Tagen also an die Frauen in besagtem Bordell dachte, da stellte sich mir ein Paradoxon. Die Co-Chefin und die Tschechin als Bordellbetreiberinnen, Zuhälterinnen? Nachdem sie selbst jahrelang Opfer täglicher sexueller Gewalt durch Freier waren, wechseln sie nun auf die andere Seite? Auf eine Seite, welche sehr oft daran beteiligt ist oder zumindest duldet, dass andere Menschen in den Zimmern genau wie sie damals von Freiern erniedrigt und sexuell gedemütigt werden, welche davon profitiert?

Und nachdem ich darüber nachgedacht hatte, musste ich leider feststellen, dass es wahrlich nicht unvorstellbar ist diesem Opferstatus zu entfliehen indem man in einen Täterstatus hinein wechselt.

Die Tschechin, von der ich sprach, welche sich prostituierte und vermehrt „Bordellbetriebsaufgaben“ wahrnahm, ist ihr Leben lang benutzt und erniedrigt worden, hat sich ficken lassen müssen als ob sie ein Roboter aus Metall wäre – ich weiß es, denn ich war dutzende Male dabei, weil wir uns abwechselten um uns zu helfen, und ich habe ihr lebloses, totes, Gesicht dabei gesehen. Sie hat sich demütigen lassen müssen. Sie trank wie ich Alkohol in Massen und nahm Drogen um die Freier auszuhalten. Auch mit der Co-Chefin war ich ab und zu mit Freiern auf dem Zimmer und es war hier nicht anders – sie war aber nicht mehr überwiegend Prostituierte, sondern eben schon mehr in den Bordellbetrieb integriert, musste sich das Ganze nur mehr noch zeitweise geben.

Und ich habe mich gefragt: ist es so abwegig, dass die beiden nicht mehr auf dieser Seite der Armut, der Prostitution, stehen möchten, sondern wenn sie die Chance bekommen auf die andere Seite der Bordellbetreibenden zu wechseln, diese auch ergreifen? Ist es so abwegig, dass sie bereits so abgestumpft sind, dass es ihnen leichter fällt auf Seiten der Bordellbetreiberin andere leiden zu sehen als selbst leiden zu müssen?

Viele würden wahrscheinlich jetzt sagen, dass eigenes Leid für einen selbst kein Grund sein kann, mitverantwortlich dafür zu sein, dass andere Menschen leiden (zum Beispiel indem man als BordellbetreiberIn dem Menschenhandel die Türe öffnet). Niemals würde man so etwas tun. So ein Satz gleitet einem jedoch leicht von den Lippen, wenn man in einer sicheren, warmen Wohnung sitzt, nicht täglich Extremsituationen in diesem Milieu ausgeliefert ist und vor allem sein Selbst noch bei sich hat. Doch was ist, wenn nicht? Was tun wir Menschen eigentlich alles um zu überleben, was tun wir, damit auch die Familie überlebt? Was tun wir, wenn wir uns verloren haben? Wir prostituieren uns vielleicht – so wie ich es tat und viele andere es getan haben oder immer noch tun. Vielleicht wird man aber auch irgendwann den Betrieb eines Bordells übernehmen, wenn einem jemand die Möglichkeit dazu an die Hand gibt, wo dann die Bekanntschaft mit Menschenhandel und Zuhälterei vorprogrammiert ist.

Erzählen kann man viel, was man tun oder nicht tun würde, doch ich bin mir sicher, dass niemand diesen Satz ehrlich beantworten kann, der noch nicht derart vielen, täglichen, menschenverachtenden Extremsituationen ausgesetzt war. Gelebte und vertretene Werte hin oder her… Menschen, welche nie Gewalt oder Verzweiflung in einer wirklich krassen Form erlebt haben, können sich das nicht einmal vorstellen – sie können sich nicht in so eine Situation hineinfühlen und auch nicht erahnen, zu was einen manche Dinge treiben können – auch wenn sie denken, sie könnten es. Sie tun es nicht.

Ein kleines Beispiel zur Veranschaulichung:

Ich selbst bin ein Mensch, der nie jemandem etwas zu leide tun könnte.

Dachte ich jedenfalls.

Bis ich lernen musste, dass es Lebensabschnitte gibt, die einen anders werden lassen, welche die grundlegenden Werte und Verhaltensweisen verblassen lassen. Es gibt Einflüsse, die, wenn sie dauerhaft auf uns einprasseln, uns von unserem Selbst entfernen. Man wird eine fremde Person – so wie man auch als Prostituierte eine andere Person ist und die eigene Persönlichkeit sich während der Prostitution noch viel weiter in Richtung Fremde entwickeln kann bis irgendwann gar nichts mehr von dem bleibt, was einen als Persönlichkeit, als Mensch, ausmacht. Es herrscht dann Stille, Leere. Alles ist schwarz.

Wenn man den 10ten Freier am Tag hat, man keinen BH mehr anziehen kann, weil die Brustwarzen vom ewigen daran lecken und beißen derart gereizt sind, dass jede Berührung schmerzt und man unter diesen Gegebenheiten den nächsten Freier bekommt, welcher dann nicht mehr nur eine halbe Stunde, sondern 2 Stunden bucht, zugedröhnt ist und daher dann auch wirklich 2 Stunden durchgehend Geschlechtsverkehr haben möchte, während der Genitalbereich schon beim Waschen und Duschen weh tat, weil alles komplett wund ist von den Tagen zuvor, er dann im Zimmer nochmal und immer wieder in die Brustwarzen zwickt und in sie hineinbeißt und immer wieder die Grenzen überschreiten will obwohl man ständig darauf hinweist und nur noch versucht sich zu schützen, dann kommt irgendwann auch jener Mensch außer Kontrolle, welcher sich eigentlich immer beherrschen kann. Irgendwann geht es einfach nicht mehr. Dieses Gefühlschaos aus Hass, Wut, Schmerzen, Traurigkeit, Verachtung, Hilflosigkeit und Entsetzen über menschliche Grausamkeit in so einer Situation ist ein gefährliches Gemisch. Es gab einige Male, wo auch ich als von Grund auf friedlicher Mensch aus sich überflutenden Extremsituationen heraus dazu im Stande gewesen wäre, mehr als „nur“ eine einfache Körperverletzung zu begehen. Ich habe es nicht getan, weil ich in diesen Momenten immer daran gedacht habe, was passiert, wenn ich irgendwann aus diesem Höllenleben raus komme. Komme ich überhaupt raus, wenn ich eine Straftat begangen habe? Soll ich vom Bordell in den Knast wandern? Ist das ein Rauskommen? Bei allem Übel habe ich immer versucht meine Nerven zu bewahren – es hat funktioniert, aber das war nicht leicht. Auch mit 6 Flaschen Sekt und im halben Delirium sind manche Freier nicht zu ertragen.

Ich weiß daher, wie es ist, sich in einer Extremsituation zu befinden, der viele weitere Extremsituationen vorausgegangen sind, und plötzlich aus Schutzgründen heraus an Dinge zu denken, von denen man dachte, dass man sowas niemals im Kopf haben könnte. Dass man, um dem Opferstatus zu entkommen, leichter ein Straftäter, eine Straftäterin, werden kann, als man sich das je hätte vorstellen können – was nicht bedeutet, dass es eine Straftat rechtfertigen würde, es erklärt lediglich, wie „leicht“ es dazu kommen kann.

Ein Mensch, welcher noch nicht in derartigen Extremsituationen war, kann so etwas nicht beurteilen. Bei allem Respekt – aber er kann nie von vornherein sagen, er würde dies und jenes nicht tun, weil es unmenschlich ist, weil es gegen seine Werte spricht. Das habe ich auch gesagt, bis ich mich zum Beispiel in oben beschriebener Situation mit dem Freier befand, in der ich darüber nachdachte das nächstgelegene Messer zu ergreifen und dabei vor meinen eigenen Gedanken Angst bekam. Nicht nur Angst vor der Situation, sondern Angst vor dem, wie diese Situation meine allgemeinen Handlungsgrundsätze und Werte in Frage stellte, wie diese Situation mich zu einem Monster mutieren lassen wollte, obwohl ich keines bin. Ich wusste immer weniger, wer ich eigentlich war.

Man lernt in der Prostitution jeden Tag seine eigenen Grenzen zu überschreiten, überschreiten zu müssen. Menschen an sich nah herantreten lassen zu müssen, sie in den intimsten Sphären seines Selbst zu akzeptieren, ihnen die sensibelsten Bereiche zur Verfügung zu stellen, welche eigentlich nur durch Liebe oder Lust zugänglich sind. Die problematische Grenzüberschreitung ist hier nicht hauptsächlich die physische Nacktheit, sondern mehr die seelische. Alles in einem sträubt sich, aber man „bedient“ den Freier trotzdem. Man überschreitet Grenzen, weil man keine andere Möglichkeit sieht. Manche Prostituierte überschreiten dann irgendwann auch die Grenzen anderer und ticken völlig aus, weil sie es bei sich selbst gelernt haben, keine Hemmung bei der Grenzüberschreitung zu haben.

Was, wenn eine Prostituierte in meiner obigen Situation mit dem Freier überhaupt nicht mehr darüber nachdenkt, was sein könnte, wenn sie es aus diesem Leben heraus schafft, weil sie die Hoffnung bereits gänzlich verloren hat?

Die Schwelle zu einer Straftat ist ab einem gewissen Zeitpunkt im Rotlichtmilieu sehr leicht zu überschreiten. Und dann begeht ein Mensch eine Tat, weil ein anderer Mensch dachte, dass er das Recht dazu habe, diesen Menschen für seine sexuellen Zwecke zu benutzen. Allerdings nicht nur das. Generell entwickeln sich Grenzüberschreitungen im Milieu zur Normalität, bei jedem und in jeglicher Hinsicht.

Eine junge Prostituierte, welche kokainabhängig war und von ihrem Zuhälter unter Druck gesetzt und geschlagen wurde, hat einer Kollegin von mir mit ihren High-Heels fast ein Auge ausgestochen. Diese war lange Zeit auf dem Auge wie blind. Dieser jungen Prostituierten jedenfalls, welche die Tat ausführte, wurde der Schmerz mit den Freiern, der Stress mit ihrem Zuhälter und ihr Versuch der Kompensation von allem mit Kokain und Alkohol zu viel. Sie tat in einer dieser Extremsituationen etwas, zu dem auch sie eigentlich nicht fähig war, denn sie war ohne Koks und ohne andere Einflüsse das typische nette Nachbarsmädchen von nebenan, welches nur leider unvorstellbare Ausmaße an Gewalt erlebt hat. Explodiert ist sie dann allerdings gegenüber einer Person, welche ihr nichts angetan hatte. Sie gab die Gewalt, welche ihr zugefügt wurde, weiter. Sie war ihrem Leben, den Freiern und ihrem Zuhälter unterlegen. Sie wollte sich in gewisser Art und Weise mit dieser Handlung sicher auch überlegen fühlen, dem Opferstatus entfliehen – wurde selbst Täterin.

Man kann sagen, sie hätte sich im Griff haben müssen. Ja, das hätte sie. Sie hätte auch ihren Zuhälter in den Wind schießen und sie hätte aufhören können Kokain zu schnupfen… Hätte, hätte, hätte ist so unglaublich einfach gesagt, wenn man sich ihre Situation nicht mal annähernd vorstellen kann, sich nicht hineinfühlen kann in ihre Sucht, in ihre Angst, in ihr Leben als Prostituierte. Vom Herzen her war sie keine Täterin, sondern ein Opfer extremer Ausbeutung, ein Opfer schwerwiegender körperlicher und sexueller Gewalt, welches dringend Hilfe gebraucht hätte. Ich müsste sie hier nicht in Schutz nehmen, wir waren nicht befreundet und sie ging mich körperlich auch an. Heute weiß ich aber, warum sie so war, weil mir auch klar ist, warum ich so weit entfernt war von meinem wirklichen Selbst. Ich weiß, dass sie sich verloren hatte und dass sie eigentlich ein herzensguter Mensch ist, was immer dann zu Tage kam, wenn wir mal allein waren und sie keinen Trip oder Entzugserscheinungen hatte. Sie bitterlich weinte. Ihre Tat ist klar nicht zu entschuldigen, aber trotzdem hätte man ihr auch Hilfe anbieten müssen. Den Weg aus dem Milieu hinaus ist sie letztlich auch gegangen und arbeitet heute in einem normalen Job und ist wieder sie selbst. Diese Frau kann froh sein, dass sie es von ihrem Zuhälter weg geschafft hat, denn ob sie sonst noch Leben würde ist ungewiss. Ihr Zuhälter sitzt nämlich im Gefängnis, weil er seine „Neue“ umgebracht hat.

Warum ich das alles erzähle ist, damit klar wird, in welchen Kreisen man sich da bewegt. Wie äußere Einflüsse von extremer Natur Menschen zu etwas verändern können, was sie in ihrem tiefsten Inneren eigentlich gar nicht sind. Und diese Dinge, welche ich hier beschreibe, kommen nicht nur einmal vor. Was Menschen im Rotlichtmilieu wirklich vom Wesen her verändert sind keine gelegentlichen Extremsituationen, sondern die dauerhafte Beschallung mit Extremsituationen und zwar jeden Tag. Es ist ein einziger Kampf. Grenzen gibt es solange, solange man sein Selbst noch nicht verloren hat – danach hat man sich in die Schlange der Untoten eingereiht, welche immer weniger Emotionen und Empathie zu Tage bringen können. Es macht das Leben für sie einfacher. Sie können skrupelloser werden ohne Mitleid zu haben, was ihnen ihr Überleben sichert.

Damals jedenfalls, als ich seit Jahren jeden Tag mit Freiern zu kämpfen hatte, nicht nur einer Extremsituation, sondern täglich mehrfachen ausgesetzt war, habe ich mich auch gefragt, wie es wohl wäre als Bordellbetreiberin auf der anderen Seite zu sitzen und dem ganzen Horrorkabinett nur zusehen zu müssen anstatt selbst daran teilnehmen zu müssen.

Ich wäre letztlich zum damaligen Zeitpunkt nicht fähig gewesen, eine Bordellbetreiberin und Zuhälterin zu sein. Dafür war NOCH zu viel Menschlichkeit in mir. Heute wäre ich allerdings auch nicht mehr fähig eine Prostituierte zu sein, doch Fakt ist: damals war ich eine. Wozu wäre ich also vielleicht im Laufe der Zeit noch fähig gewesen, wäre ich nicht aus der Prostitution rausgekommen?

Die Tschechin war als Prostituierte auch jahrelang täglichen Extremsituationen ausgesetzt. Sie war älter und länger dabei als ich, die Co-Chefin auch. Sie versuchte vor dieser Gewalt der Freier zu fliehen, indem sie anfing die Seiten zu wechseln. Zunächst in Richtung Bar und „Rezeption“, irgendwann vielleicht wie die Co-Chefin weiter in Richtung Bordellbetreibende.

Warum nicht anstatt auf diese Seite zu wechseln in ein normales Leben kommen? Doch wie soll man in ein normales Leben finden können, wenn man nichts anderes kennt, nicht weiß, wie man aus all dem ausbrechen kann? Schließlich wäre man ja sonst schon als Prostituierte ausgebrochen. Leider ist der Weg in ein normales Leben so schwierig und ungewiss, dass man ihn, wenn man andere „Sicherheiten“ angeboten bekommt, nicht einfach so geht. Für mich als Deutsche war es damals extrem schwierig aus der Prostitution raus zu kommen. Eigentlich fast nicht machbar. Und ich war jung. Konnte kommunizieren, mich artikulieren. Doch auch ich verließ das Milieu in der Ungewissheit, dass ich nicht wusste, wie und ob es danach überhaupt weitergeht. Ich war isoliert, allein, ohne jegliche Mittel. Wie sollen ausländische Menschen diesen Schritt ins Nichts wagen? Und ich meine ins Nichts. Der Ausstieg aus der Prostitution ist als ob man von dem Mars auf der Erde ankommen würde, wobei die Prostituierte der Marsmensch ist, welcher nicht zu den Erdlingen gehört und völlig fremd ist, sich fremd verhält, weil er das Leben auf der Erde nicht kennt, von der Art her anderen gegenüber fremd erscheint, begutachtet wird, verurteilt wird, oft nicht angenommen wird.

Und wo sind hier die Ausstiegshilfen? Auch staatliche Ausstiegshilfen? Solche wären EXTREM wichtig und sind unbedingt NÖTIG. Ich verstehe nicht, warum es so etwas nicht gibt. Man möchte die Prostitution eindämmen und gibt den Menschen keine Möglichkeit, das Milieu zu verlassen. Das widerspricht sich doch im Kern, denn die meisten können es nicht von allein verlassen! Es braucht WIRKLICHE Möglichkeiten. Ein Beratungsgespräch und Informationen zum Ausstieg sind sinnlos. Es muss praktisch mitgeholfen werden. Finanziell. Es braucht Jobangebote für Prostituierte, die das Gewerbe verlassen wollen. Es braucht Bildung, Sprachunterricht, Unterkünfte… kostet alles Geld? Vieles in unserem Staat kostet Geld, doch das hier ist etwas Essentielles, Wichtiges! Es geht hier um Menschenrechte, es geht darum, dass Menschen in Würde leben können. Das ist uns doch bei Flüchtlingen auch so wichtig, warum nicht bei Prostituierten? Warum nicht für sie Integrationsprogamme schaffen? Denn auch sie sind NICHT in die Gesellschaft integriert. Sie sind Außgestoßene und müssen den Weg (zurück) in unsere Gesellschaft erstmal finden!

So kommt es, dass einige Prostituierte zu Bordellbetreiberinnen, zu Zuhälterinnen, werden und aufgrund ihrer automatisch entwickelten Abgestumpftheit auch teilweise keine großen Emotionen mehr für die „arbeitenden“ Frauen aufbringen können, schließlich „mussten sie es selbst früher auch machen“. Vielleicht gibt es bei männlichen Prostituierten auch so einen „Weg“, da ich allerdings nur vereinzelt und sehr selten männliche Prostituierte getroffen habe, kann ich darüber nichts sagen. Im Gegensatz dazu habe ich in meinen 6 Jahren Vollzeit-Milieu-Aufenthalt viel mehr, sehr viel mehr, Zuhälter als Zuhälterinnen gesehen. Zuhälterinnen habe ich als Bordellbetreiberinnen kennengelernt, während ich Zuhälter als Bordellbetreiber und noch dazu aber auch als solche kennengelernt habe, welche „ihre Frauen“ in die verschiedensten Clubs bringen um ihnen das komplette, dort verdiente, Geld aus der Tasche zu ziehen.

Ich kann verstehen, wenn es Außenstehenden schwer fällt sich vorzustellen wie so ein oben beschriebener Weg zur Bordellbetreiberin, zum Zuhälterinnen-Dasein, manchmal vonstattengehen kann. Hätte ich selbst nicht erlebt, wohin Extremsituationen Frauen in der Prostitution führen können, könnte ich mir das sicher selbst nicht so richtig vorstellen. Da ich aber weiß, wo auch ich als friedlicher Mensch in Gedanken mehrere Male war und die Umsetzung nur deshalb nicht stattgefunden hat, weil ich meinen Glauben an eine andere Zukunft aus welchen Gründen auch immer nie verloren habe, fällt es mir leichter gewisse Verhaltensweisen nachzuvollziehen.

Wie kann man versuchen diesem paradoxen Zyklus entgegenzuwirken?

Wie erreicht man solche Menschen überhaupt, wenn sie bereits ihre Persönlichkeit und ihr eigenes Ich im hohen Maß aufgegeben haben? Kann man sie überhaupt erreichen?

Schwierige Fragen. Was ich meiner Erfahrung nach sagen kann ist, dass je mehr sie in das Rotlichtmilieu integriert werden und hineinwachsen, so wie die Tschechin damals, die Co-Chefin oder teilweise auch ich, je weiter sie in Richtung Bordellbetreibende wandern, desto schwieriger wird es, sie in ein anderes Leben zu holen und sie an dem Schritt „vom-Opfer-zum-Täter“ zu hindern. Ab einem gewissen Stadium scheitert wahrscheinlich leider jede Überzeugungskunst, weil sie sich komplett mit diesem Leben „identifiziert“ haben. Deswegen sollte man versuchen schon vorher etwas zu tun!

Es braucht wirkliche und ehrliche Alternativen für Prostituierte, so dass sie überhaupt nicht erst auf die Idee kommen müssen dem Opferstatus nur dadurch entfliehen zu können indem sie Täterinnen werden. Sie müssen die Möglichkeit bekommen, dass sie auch anders ihre Lage verlassen können. Wichtig sind Ausstiegshilfen, Integrationsprogramme. Enorm bedeutend ist in meinen Augen die aufsuchende Arbeit, aber nicht mit Laien, sondern mit ausgebildeten Fachleuten und SprachmittlerInnen. Zudem braucht es mehr TherapeutInnen, die sich auf dieses Gebiet spezialisieren. Die meisten haben leider keine Ahnung, wie sie richtig mit Prostituierten umgehen sollen, weil sie auch größtenteils nicht wissen, was die Psychotraumatologie über Menschen, welche sich prostituieren, in Erfahrung gebracht hat. Jeder, der Prostituierten als PsychotherapeutIn vorhat zu helfen, muss das aber wissen, es ist unabdinglich! Wenn jemand aus der Prostitution auf eine Therapeutin, auf einen Therapeuten, trifft, die eigentlich keine Erfahrung damit haben, die Hintergründe und die Mechanismen nicht verstehen, dann kann das schlimmer sein als hätte sie niemanden aufgesucht.

Es wäre ein wichtiger Schritt, sich noch viel mehr darum zu bemühen, manchen Menschen aufzuzeigen, dass es eine andere Normalität gibt, welche sich lohnt und erstrebenswert ist, mit Hilfe vor allem auch erreichbar ist; aber dieser Schritt ist immer auch eine anstrengende und enttäuschende Aufgabe, weil sicher einige trotzdem den falschen Weg beibehalten werden.

Letztlich kann ich nur von mir selbst sprechen und als ich damals aussteigen wollte, wäre ich um jede Hilfe so unglaublich dankbar gewesen, aber es war keine da. Eine Beratungsstelle, die einem ein Prospekt in die Hand drückt, ist keine Hilfe um aus so einem Höllenleben zu entkommen, sie ist ein schlechter Witz, mehr nicht. Im Übrigen war ich nicht mal bei einer Beratungsstelle, diese Info habe ich von anderen. Halt, doch. Nach meinem Ausstieg war ich bei einer – sie suchten jemanden, der über seine Erfahrungen spricht. Ich fuhr dorthin und sprach über alles, was ich erlebt habe. Eine Frau schaute mich nur ganz mitleidig an während die andere auf meine Aussage, dass ich nie eine gute Prostitution gesehen habe, erwiderte, dass sie auch viele Prostituierte betreuen, welche sehr gerne in diesem Bereich „arbeiten“ und sie mir das nicht so recht glauben könne.

Genau… diese Frau hat leider das System nicht verstanden und arbeitet in einer Beratungsagentur.

Wäre ich dort damals als Prostituierte hingegangen und sie hätte mir als studierte Frau erzählt, dass Prostitution doch in ihrem Kern oft gar nicht so schlecht ist, dann hätte ich erstmal darüber nachgedacht, ob es denn wirklich so schlimm sein kann, diese sexuelle Gewalt, die ich da jeden Tag erlebe. Ich hätte in Frage gestellt, ob es überhaupt Gewalt ist und ich hätte mich nach ihrer Aussage schlecht und schäbig gefühlt, mich geschämt, weil sie damit mir und den anderen Frauen diese grausamen Erlebnisse, die wir jeden Tag ausgehalten haben, auf gewisse Weise abgesprochen hat. Ich kann heute nur noch mit dem Kopf darüber schütteln.

Ich habe den Ausstieg trotz allem geschafft, doch ich weiß nicht, wo ich heute stehen würde, auf welcher Seite, hätte ich es nicht geschafft. Hätte ich irgendwann meine Menschlichkeit, mein Selbst, in dem Ausmaß verloren, dass auch ich zu einem Monster, einer Bordellbetreiberin, einer Zuhälterin, mutiert wäre um der Gewalt der Freier zu entkommen? Und jeder der mich kennt, würde mich wegen dieser Frage auslachen, weil ich keiner Fliege etwas zu leide tun geschweige denn jemanden ausnutzen kann. Ich fühle mich schon schlecht, wenn mir jemand 5 Euro leiht. Nie könnte ich Geld von jemandem nehmen, der täglich von Freiern malträtiert wird, weil ich weiß, wie verletzend und zerstörend es ist; keine 50%, keine 30%, nicht mal 1 Cent würde ich nehmen. Jetzt habe ich ein geregeltes Leben, wo ich nicht mehr tagtäglich (sexueller) Gewalt ausgesetzt bin, wo ich nicht mehr täglich ums Überleben kämpfen muss. Doch wozu wäre ich damals vielleicht noch fähig geworden außer mich zu prostituieren, wozu wäre ich vielleicht heute fähig, wenn ich nicht aus diesem Leben rausgekommen wäre? Die ehrliche Wahrheit ist, ich weiß nicht, wo und auf welcher Seite ich stehen würde, und ich bin glücklich darüber, dass ich es nicht herausfinden musste und dass ich trotz aller erlebter Gewalt niemals selbst jemandem Gewalt angetan habe, niemals mitverantwortlich für die Gewalt an jemandem war, obwohl der Schritt dahin wie oben erläutert kein undenkbarer und vor allem mit der Zeit und der weiteren Entmenschlichung immer leichterer gewesen wäre.

Mehr Ausstiegshilfen für Prostituierte, auch von staatlicher Seite mit ausreichenden finanziellen Mitteln, die wirklich funktionieren, würden neben einem Leben in Würde, welches viel mehr Prostituierten endlich möglich wäre, zumindest in gewissen Milieu-Kreisen auch den Zuhälterinnen-Nachwuchs eindämmen – denn dieses Phänomen „des-Seiten-wechselns“ von der Prostituierten zur Zuhälterin habe ich nicht nur in dem oben erwähnten Club gesehen.

Abschließend möchte ich noch einen generellen, sehr wichtigen Punkt aufwerfen:

Menschen im Milieu haben durchdachte Konzepte, wie sie Prostituierte an sich binden. Nur ein Beispiel ist dieses „Familienkonzept“ wie ich es oben dargestellt habe. Es mag sich vielleicht komisch anhören, aber das Rotlichtmilieu zu bekämpfen ist mitunter auch ein enormer strategischer Kampf, weil es sich zum großen Teil durch Berechnung und Strategie am Leben hält. Es ist wie ein Schachspiel – um zu gewinnen muss man mehrere Schritte vorausdenken um den anderen Schachmatt setzen zu können. Deshalb ist auch die vermehrte Ausbildung von Fachleuten wichtig, welche lernen das Spiel zu beherrschen und somit den Prostituierten besser helfen zu können.

Als ich damals zu meinem Zuhälter gezogen bin, standen bald darauf 2 Polizisten vor der Türe, weil sie einen anonymen Hinweis bekommen hatten, dass mich jemand in die Prostitution gebracht hatte. Ich war nicht in der Lage, ihnen zu erzählen, in welchem Strudel ich mich befand, ich realisierte am Anfang selbst nicht wirklich, was da überhaupt in meinem Leben passierte – und sie durchschauten das Spiel nicht, kannten die Strategie nicht, blieben nicht dran. Sie konnten nichts dafür, denn sie wussten es nicht besser, kannten sich in diesem Bereich nicht tiefergehend aus. Ich verhielt mich bei der Befragung als ob alles in Ordnung wäre. Das ist auch ein großes Problem – viele Prostituierte verhalten sich unauffällig. Es ist ein Teil des Spiels, welches sie mitspielen (müssen). Und es gibt noch so viele weitere Teile…

Kennen nun die Menschen, welche helfen möchten, allerdings diese Teile, dann können sie jemandem, welcher in der Prostitution gefangen ist, viel besser zu Hilfe kommen, weil sie verstehen was vor sich geht, und ihm vielleicht sogar das Leben retten.

Mein Zuhälter war nicht nur ein Zuhälter, sondern in früheren Zeiten unter anderem ein Legionär. Ein Stratege. Er erwähnte einmal dieses Buch von Sun Tzu, „die Kunst des Krieges“ – ein uralter Ratgeber über Kriegsführung mit allerlei Taktik, Strategie und Planung. Ich habe es mir damals gekauft und gelesen. Mancher fragt sich jetzt, was hat so ein Militärstrategiebuch mit dem Rotlichtmilieu zu tun? Sehr viel. Das Milieu ist vergleichbar mit einem Kriegsschauplatz, viele Dinge aus diesem Buch, strategische, psychologische Aspekte, sind in abgewandelter Form auf das Milieu umsetzbar, sind in anderer Form auf den normalen Alltag mit Menschen übertragbar.

Vorhin habe ich im Internet gesucht, ob irgendwelche niedergeschriebenen Zusammenhänge von Fachleuten zwischen dieser in Sun Tzu‘s beschriebener „Kriegskunst“ und dem menschlichen Umgang miteinander auch außerhalb des Krieges existieren und tatsächlich bin ich fündig geworden. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich habe ein Buch über seelische Gewalt von einer Psychotherapeutin gefunden.

Ihr Name ist Marie-France Hirigoyen (sie studierte Medizin und Viktimologie in Frankreich und den USA und praktiziert als Psychoanalytikerin und Familientherapeutin in Paris) und sie „bezieht sich in ihrem Buch „Die Masken der Niedertracht“, einem Buch über seelische Gewalt im Alltag, einige Male explizit auf Sunzi (Sun Tzu), indem sie seine Strategien über die Kriegskunst auch auf den psychischen Krieg zwischen zwei Personen anwendet. So schreibt Sunzi: „Jede Kriegsführung beruht auf Täuschung. Wenn wir also fähig sind, anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen […]; wenn wir nahe sind, müssen wir den Feind glauben machen, dass wir weit entfernt sind, wenn wir weit entfernt sind, müssen wir ihn glauben machen, dass wir nahe sind.“ Dieselbe Strategie wendet demnach eine Person an, wenn sie ihr Opfer psychisch destabilisieren möchte.“ (Quelle 1: dtv – Studium und Beruf von Hirigoyen ; Quelle 2: Die Kunst des Krieges – unter „Nachwirkung und Aktualität“).

Ich habe vorher aus Neugierde gegoogelt und hätte wirklich nicht gedacht, dass sich jemand mit diesem alten Werk von Sun Tzu beschäftigt hat. Ich kann gar nicht beschreiben wie gut es tat herauszufinden, dass ich nicht allein bin mit meinen Ansichten, dass das, was ich über dieses Kriegsstrategiebuch und seinen Zusammenhang mit psychischer Gewalt auch außerhalb eines Krieges dachte, nicht weit hergeholt, sondern von einer Fachfrau sogar bereits niedergeschrieben wurde. Das brachte mich gerade dazu, mal ganz tief durchzuatmen. Ich habe mir das Buch im Internet bestellt und bin sehr gespannt es zu lesen, bin gespannt, was diese Frau zu sagen hat. Vor allem ihre Zusammenhänge bezüglich seelischer Gewalt und Sun Tzu’s Buch „Die Kunst des Krieges“ interessieren mich doch sehr, nachdem mein Zuhälter dieses Buch damals hochgepriesen und ich es irgendwann später gelesen hatte, mir aber erst nach Jahren einige Zusammenhänge klar wurden – und wer weiß, vielleicht werden mir mit dem jetzt bestellten Buch noch mehr davon klar.

Nicht alle, aber viele Leute im Milieu sind ähnliche StrategInnen und beherrschen die „Kunst“ der Kriegsführung im übertragenen Sinne, jeder in seiner Art und Weise.

Deshalb sind mehr „SchachspielerInnen“ im Kampf gegen das Rotlichtmilieu wichtig, welche die anderen mit deren eigener Strategie schlagen können.

Sun Tzu sagte:

All war is deception.

Zu deutsch: Jeder Krieg besteht aus Täuschungen.

Wenn jemand nach diesem Motto, dass jeder Krieg aus Täuschungen besteht, Krieg führt, dann muss man diesem Jemand im Täuschen überlegen sein um zu gewinnen.

„Mein Schon-Gefickt-Album“

 

Gerade habe ich in einem Freierforum gelesen. Wieder in jenem, in welchem ich damals selbst bewertet worden bin als ob ich kein lebender, fühlender Mensch wäre – www.lusthaus.cc  -. Eigentlich ist so ein Forum keine gute abendliche Lektüre um danach ruhig und entspannt schlafen zu können, aber an meiner Statistik sehe ich, dass scheinbar einige Menschen in der Google-Suche nach Freierforen suchen und so seit längerem häufig immer wieder auf meinen Beitrag Freierforum – www.lusthaus.cc – Art. 1 Grundgesetz und wie er leerläuft stoßen. Ich gehe mal stark davon aus, dass es Männer sind, welche sich eigentlich bei Google erkundigen möchten, wo und mit welcher Prostituierten sie am besten „verkehren“ können und darüber in einem Forum Auskunft haben wollen, dementsprechend nach einem Freierforum suchen. Wenn das so ist und sie dann aufgrund des Suchbegriffs bei mir hier landen, hoffe ich sehr, dass ihnen die Lust zumindest etwas vergeht. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Jedenfalls habe ich gerade auf diesem Lusthaus-Freierforum das sogenannte  „Mein-Schon-Gefickt-Album“ gefunden. Freier erstellen Alben darüber, mit welcher Prostituierten sie schon zugange waren. Mit Bildern und teilweise auch Berichten. Wenn ich mir die Angaben vom Datum her ansehe, wann die Freier ihr jeweiliges Album publiziert haben, dann wird deutlich, dass diese Alben populärer werden, weil immer mehr Männer in kürzeren Abständen eines erstellen und sich damit brüsten, welche und vor allem wie viele Prostituierte sie schon für käufliche „Dienste“ bezahlt haben. Sie geben ihrem Album verschiedene Namen wie zum Beispiel „Schon Gefickt“, „Girls fucked“, „Arschgefickt“, „Eingelocht“, „Bumskontakte und To-Do-Liste“, usw… Unter diesen Albenbetitelungen steht ihr Name bzw. ihr Pseudonym. Wenn man nun auf den Namen der jeweiligen Alben klickt kommt eine Bildergalerie von Frauen, bei welchen die jeweiligen Freier schon waren. Klickt man dann auf ein Bild der jeweiligen Frau, kommt auch ein Forenbericht, soweit es einen gibt.

Neben dem „Austausch“ in Foren über verschiedene Prostituierte schmücken Freier sich mit diesen Alben noch mehr damit, welche Frauenkörper sie schon benutzt haben. Wie eine Trophäe.

Wie könnt ihr nur so stolz auf etwas so unehrenwertes, auf etwas so missbräuchliches sein? Wenn ihr Ego-Probleme habt, dann löst sie anders. Eine Prostituierte ist kein Pokal, mit dem man angibt und protzt. Sie ist ein MENSCH, auch wenn viele von euch das nicht wahrhaben wollen.

In einem anderen Freierforum (www.freiermagazin.com) machen sich die „lieben“ Freier Sorgen um die Einführung der Kondompflicht und bedauern ihre Feierkollegen in Schweden, die aufgrund des nordischen Modells nicht mehr einfach so zu Prostituierten gehen können.

Hier nur 3 Statements aus dem Forenbeitrag (wer alles lesen möchte klicke auf diesen Link einen Absatz weiter oben – er führt genau zu folgendem „Gespräch“):

Also, ich kann mir auch nicht vorstellen, das ich demnächst mit einer Frau ZUSAMMEN bin, auf einmal geht die Tür auf und es brüllt der Ordnungshüter:“Guten Morgen,Maier mein Name von der Polizei Dortmund, allgemeine „Verkehrskontrolle“, Gummi und dazugehörige Verpackung bitte“.

Ein anderer schreibt dazu:

Eine erstgemeinte Frage zu dieser Situation:

Der Typ „Polizist (oder wer auch immer) Maier“ sorgt durch seine Aktion
dafür das meine #Nudel im gesetzlich vorgeschrieben Mäuseschlafsack
weich# wird.
Kann ich bei ihm Schadenersatz für nicht vollzogenen bzw.
vollendeten GV verlangen?

maanke

Antwort des anderen:

Hmmmh, gute Frage. Ich bin bei der DAS (gehört jetzt zur Ergo Gruppe) versichert, die übernehmen wirklich fast alles. Das darf ich zumindest rückblickend 27 jahre sagen, beinhaltet bei mir auch VERKEHRSrechtsschutz.

Werte Freier, die ihr euch sorgt um die Einführung der Kondompflicht und um eure Kollegen, welche in Ländern mit nordischem Modell leben: ihr solltet zur Kenntnis nehmen, dass das nordische Modell auf dem Vormarsch ist und auch in Deutschland und noch weiteren Ländern ankommen wird – es ist nur eine Frage der Zeit!

Wie euer Freierkollege „Höhlenforscher“ in seinem Beitrag bei euch sagt:

Uns in Deutschland geht’s doch noch immer noch vergleichsweise gut, auch wenn das neue Gesetz natürlich ärgerlich ist.

In Schweden werden Freier (und nur die!) von der Polizei gejagt

Die Betonung liegt hier auf: es geht euch vergleichsweise NOCH gut.

Vielleicht solltet ihr anfangen euch schon jetzt ein anderes Hobby zu suchen, ein ehrenwertes. Eurer Frauen oder eurer Freundinnen wegen, eurer Kinder wegen, eurer Selbst wegen!

Und vielleicht solltet ihr richtige Männer werden und anfangen andere Dinge im Leben als bedeutend zu erachten anstatt wie oben aufgeführt Panik zu schieben, dass eure „Nudel im vorgeschriebenen Mäuseschlafsack bei einer Kontrolle weich werden könnte“!

Eure Gespräche und damit ihr selbst seid niveaulos. Pietätlos.

Kramt mal bitte irgendwo in der hintersten Ecke eurer Gehirnzellen und versucht die Menschlichkeit in euch (wieder) hervorzuholen. So wie ihr Prostituierte behandelt, wie ihr über sie redet und schreibt, denkt ihr (bewusst oder unterbewusst), dass sie keine Menschen sind, doch in Wahrheit seid ihr es, welche das Menschsein verloren haben.

Sucht und findet es wieder…

 

Warum Aufklärung so wichtig ist

Sehr oft sind junge Menschen besonders gefährdet, wenn es darum geht, in die Prostitution abzurutschen. Häufig sind es junge Frauen, die ihre erste Liebe in einem Zuhälter finden – so wie ich es auch tat – und dieser sie dann in die Prostitution führt.

Und hier stellen sich für diese (manchmal nicht nur) jungen Menschen Fragen: wie weit sollte man für Liebe gehen? Was muss man für Liebe opfern? Ist es normal, für die (gedachte) Liebe seines Lebens alles in seiner Macht Stehende zu tun, weil es sonst ein Verrat an dieser Liebe wäre? Und was passiert, wenn Menschen einem glaubhaft machen möchten, dass es normal ist, sich für die Liebe zu ihnen aufzuopfern – es sei schließlich normal Menschen zu helfen, die in Not sind und die man liebt – gehört das zur Liebe dazu?

Wo lernen vor allem junge Menschen diesbezüglich die Grenzen kennen, wenn sie keine Vorbilder haben? Wie weit kann man gehen? Wie weit sollte man für Liebe gehen?

„Es ist doch selbstverständlich, wo die Grenzen liegen und was man für Liebe sicher nicht tut!?“ – Nein, es ist eben nicht selbstverständlich.

Wer sich nicht in einer Umgebung aufhält, die es einem vorlebt – woher soll man es denn wissen?

Und wo im Alltag lernen diese jungen Menschen mit der Thematik umzugehen?

In der Schule? Wahrscheinlich leider eher nicht.

Es ist ein Thema, was mich beschäftigt.

Nicht nur wegen meiner eigenen Geschichte, sondern weil ich es im Alltag erlebe. Ein junges Mädchen aus meinem Bekanntenkreis kam letztens auf mich zu und sagte mir, ihr Freund wolle einen Schritt weiter gehen (= er wollte Geschlechtsverkehr) und als sie gesagt habe, dass sie dazu nicht bereit sei, habe er sich nicht mehr gemeldet und sie noch beschimpft als sie nachhakte, was sie falsch gemacht hätte. Sie fragte mich daraufhin, ob sie es tun müsse. Ob sie diesen Schritt, den er verlange, gehen müsse. Ob es NORMAL SEI, dass man sowas tut. Dem anderen zuliebe. Sie dachte, dass sie etwas falsch gemacht hätte, indem sie ihm mitteilte: Nein, ich bin noch nicht soweit.

Natürlich habe ich ihr gesagt, dass sie das nicht tun muss und genau richtig reagiert hat. Was nun, wenn sie jemanden gefragt hätte, der sie nicht in ihrer Absage unterstützt sondern Verständnis für den Jungen geäußert hätte? Was, wenn sie mehrere Menschen getroffen hätte, die Verständnis für den Wunsch des Jungen aufgebracht hätten? So wie ich es von vielen Jugendlichen in Bezug auf dieses Thema her kenne, weil ihnen selbst vermittelt worden ist, dass es normal sei. Wäre sie labil gewesen, hätte sie vielleicht mit dem Jungen geschlafen, weil sie gedacht hätte, dass ihr Wille, es noch nicht tun zu wollen, nicht normal sei. Wäre es dann für sie Alltag geworden gegen ihren eigentlichen Willen mit diesem Jungen Geschlechtsverkehr zu haben? Und wie weit ist das entfernt davon auch andere Dinge gegen seinen eigentlichen Willen zu tun, zum Beispiel sich zu prostituieren, weil einem eingetrichtert wird, dass es normal sei das für Menschen zu tun, die man liebt, die in Geldnot sind?

Es ist überhaupt nicht weit voneinander entfernt – sondern eine gefährlich nahe Parallele.

Nachdem ich einige Zeit lang meinen damaligen Zuhälter im Internet als „normalen“, soliden Mann kennen– und liebenlernte, er zu meiner einzigen Bezugsperson geworden war, fing er irgendwann an mir langsam zu vermitteln, dass es normal sei sich zu prostituieren. Je mehr ich mich verliebte, desto mehr Druck übte er aus. Ich hatte auch mein erstes Mal mit ihm. V.a. nachdem ich in den Schulferien in einem Flat-Rate-Club, den er vermittelte, angeschafft und ihm das ganze Geld gegeben hatte, konnte er sich relativ sicher sein, dass ich ein guter Fang war. Ich hatte große Probleme zuhause, von denen er wusste. Ich zog zu ihm (und übrigens auch seinen 2 weiteren Frauen) in der Absicht von zuhause endlich wegzukommen, in dem Glauben, dass er mich liebte, allerdings dachte ich nicht daran, dass das Ganze mit der Prostitution dann ausarten würde – dass ich nur noch anschaffen ging für ihn und seine Schulden. Das hatte ich nicht im Blick, aber es entwickelte sich so. Die Schule brach ich ab, weil ich dieses Doppelleben nicht führen konnte. Und dann fing alles so richtig an.

Tag für Tag, Nacht für Nacht in irgendeinem Bordell zu stehen, meinen Körper zu verkaufen um ihn aus seiner finanziellen Lage zu „retten“.

Ich hatte kein Leben, ich lebte nur dafür Geld für ihn ranzuschaffen – es wurde Normalität. Ohne physischen Zwang – es stand psychischer Druck hinter der Sache. Angst. Nach dem Schulabbruch auch große Ausweglosigkeit. Für mich war es eine alternativlose Lage. Ich lebte in dem Glauben, irgendwann würde alles gut werden, ich wurde in diesem Glauben gehalten, doch seine Schulden nahmen kein Ende. Es wurde nicht gut, es wurde schlimmer. War das eine Problem und die eine Rechnung weg, kam das Nächste. Seine anderen beiden Frauen konnten nicht (mehr) arbeiten. Dieses Zusammenleben war zudem eine große Katastrophe… was auch der Grund dafür war, dass ich irgendwann nur noch im Club geschlafen und gewohnt habe. Da hatte ich wenigstens nach der „Arbeit“ meine Ruhe. Je mehr ich in dieses Leben „Rotlichtmilieu“ reinschlitterte, desto mehr Milieu-Kriminalität bekam ich mit – und desto problemloser „funktionierte“ ich, weil ich mitbekam, was mit Prostituierten passieren kann, wenn sie gegen den Strom schwimmen. Oft erträgt man Dinge, weil man Angst davor hat, was passiert, wenn man sich anders verhält. Man wird unterdrückt, eingeschüchtert, macht weiter, schweigt…

Und unabhängig davon weiß ich heute natürlich, dass es nicht normal ist sich für jemanden, den man liebt, anzufangen zu prostituieren – auch nicht, wenn dieser jemand vorgibt in einer Notlage zu sein. Nichts kann es rechtfertigen, dass man sich selbst für einen anderen Menschen so zerstören muss.

Heute frage ich mich, wie völlig realitätsfremd und wahrnehmungslos ich damals war. Doch als ich ihn kennenlernte gab er mir alles, wonach ich mich sehnte, was ich zuhause vermisste. Vor allem Liebe – aber es war gespielte Liebe. Erst als er mich um den Finger gewickelt hatte und ich ihm sicher war (nach dem Umzug zu ihm), ließ seine Zuneigung drastisch nach. Plötzlich war ich nicht mehr seine Prinzessin, plötzlich sagte er nicht mehr, dass er mich liebt und verhielt sich auch nicht mehr so.

Es war mir lange nicht möglich mich aus diesem Leben zu befreien. Ich hatte anfangs nicht realisiert, was da eigentlich passierte. Es war alles so komplett unwirklich. Und als ich es dann tat, war ich schon so tief in diese ganzen Sachen verstrickt, dass ich mir völlig hilflos vorkam. Als ich komplett in diesem Leben war, nach dem Umzug zu ihm, hatte ich auch Angst, empfand große Unsicherheit, kam mit Milieu-Kriminalität in Berührung. Ich war gefangen in diesem Leben. Wohin sollte ich? Zurück an den Ort vor dem ich geflohen war? Diese ersten Male in dem Flat-Rate-Club mit den vielen Männern haben auch etwas in mir ausgelöst, weswegen ich psychisch überhaupt gar nicht mehr in das andere Leben zurückkonnte. Ich war da in etwas reingeraten, was ich bisher nur aus schlechten Filmen kannte – mit dem Unterschied, dass es real war. Wenn man beginnt als Prostituierte zu „arbeiten“ hat man bereits wenig Selbstwert, in der Prostitution verliert man seinen Selbstwert ganz – man wird von Freiern gedemütigt, erniedrigt, benutzt und als Fußabtreter behandelt. Man fühlt sich immer wertloser, man glaubt immer weniger daran ein Leben und Hilfe zu verdienen, weil man nur etwas ist, was am allerletzten Rand der Gesellschaft steht. Das Flat-Rate-Bordell ist die Spitze der Demütigung. Einen Ausweg aus dieser Situation, so wie ich sie vor mir hatte, sah ich nicht. Ich war bereits isoliert von jeglichem Kontakt außerhalb, es war ein surreales Leben.

Und ich bin mir sicher, dass es da draußen viele (junge) Menschen gibt, die genauso instabil sind, gebrochen sind, niemanden zum Reden haben, allein sind, aus welchen Gründen auch immer, und die anfällig auf so eine Masche sind. Auf eine Masche, die einen in die Prostitution treibt. Nicht umsonst gibt es immer mehr von diesen „Loverboy-Fällen“.

Deshalb braucht es Aufklärung in dieser Hinsicht – und zwar in allen erdenklich möglichen Bereichen!

Früher hatte ich niemanden, der mir sagt, wie Liebe funktioniert, wie weit man für die Liebe zu einem Menschen gehen muss oder nicht. Ich hatte nur ihn, meinen Zuhälter, der mir sagte, für Liebe müsse man sich aufopfern. Wortwörtlich teilte er mir irgendwann mit, dass es normal sei, sich für jemanden kaputt zu machen, den man liebt – das hätten auch schon andere vor mir für ihn getan.

Das war der Zeitpunkt, wo ich angefangen habe mich aus diesem Lügensystem langsam zu lösen… was einfach klingt, es wie oben erwähnt aufgrund der weiteren Umstände aber leider nicht war.

Ich will nicht beurteilen, was andere Menschen darüber denken, aber ich persönlich würde niemals wollen, dass sich eine Person, die ich liebe, prostituiert (ich möchte auch nicht, dass sich überhaupt jemand prostituieren muss!). Niemals. Ich würde diesen Menschen, seine Nähe, seine Persönlichkeit, unter keinen Umständen teilen wollen. Und was noch wichtiger ist: ich möchte diesen Menschen nicht verletzen und auch nicht, dass er verletzt wird. Ich möchte, dass dieser Mensch glücklich ist und heil bleibt. Und ein Mensch in der Prostitution bleibt nicht heil, ist nicht glücklich, wird tagtäglich in seiner Seele verletzt. Ein Mensch wie mein Zuhälter einer war, der regelmäßig in den Club kommt und sein Geld abholt während er sieht, wie ich mit dem nächsten Freier auf Zimmer gehe, immer und immer wieder, liebt einen ganz klar nicht. Viele dieser Zuhälter sind auch schon so taub von ihren Gefühlen her, dass sie gar nicht mehr lieben können, weil das Leben im Milieu vorraussetzt, dass man nichts fühlt, dass man kein Mitleid hat, dass man skrupellos ist – sonst überlebt man nicht lange dort. Viele von ihnen können keine Empathie mehr in der Form empfinden, in der „normale“ Menschen es tun. Sie sind komplett abgestumpft. Das allerdings rechtfertigt nicht ihr Handeln, es erklärt nur teilweise, wie Menschen zu so etwas fähig sind.

Alle diese Dinge sind mir jedenfalls heute bewusst. Damals in der Prostitution war ich lange gefangen in einer großen Luftblase. Und ich hatte Angst mich aus ihr zu befreien und auf dem harten Boden der Tatsachen zu landen. Allein. Mit Nichts. Isoliert von jedem. Isoliert vom Leben. Isoliert von meinen Gefühlen. Ich dachte ich könne in meinem Leben sowieso nichts anderes mehr erreichen. Ich war eine Vollzeitprostituierte geworden, ich war Abschaum, ich war jemand unwürdiges. Ich fühlte mich wie ein Stück Dreck und so ließ ich mich auch behandeln.

Als dieses Mädchen, von dem ich oben berichtet habe, mir die Geschichte mit dem Jungen erzählte, habe ich innerlich gekocht vor Wut, denn ich habe mich daran erinnert, was es für mich bedeutete und vor allem wo es endete, als ich damals von besagtem Mann vermittelt bekam, dass ich etwas tun sollte, was eigentlich gegen meine Gefühle, gegen meinen eigentlichen Willen sprach, aber eben als NORMAL verkauft wurde. Ich war aber nicht nur deshalb wütend, weil dieser Junge sich dem Mädchen gegenüber so verhielt, sondern auch deshalb, weil dieses Verhalten ja irgendwoher kommen muss.

Und es ist doch ganz ehrlich auch kein Wunder, dass heutzutage schon 14-Jährige und noch jüngere Jungs mit Frauen umgehen als wären sie dazu da um ihre Bedürfnisse zu befriedigen – denn wo lernen so junge Menschen das?

Genau. Im Fernsehen. In der Werbung. Auf Plakaten. In Pornos. Und vor allem durch die Liberalisierung von Prostitution und der in unserem Land vorherrschenden Normalität Sex kaufen und immer verfügbar haben zu können. Man(n) darf sich den Zugang zu Körpern, meist weiblichen, kaufen. Was ich im Alltag bemerkt habe ist, dass vor allem heranwachsende, männliche Jugendliche dieses Angebot des käuflichen Sex auf ihre Umgebung übertragen, d.h. wenn ein Mädchen/eine Frau diese „Dienstleistung“ nicht anbietet, ist sie trotzdem in deren Augen „etwas“, woran man sich „bedienen“ kann.

Quasi eine Generalisierung: wenn es in Deutschland so viele Prostituierte gibt, dann muss das wohl an der Natur der Frau liegen und deshalb auch jede nicht-Prostituierte auf irgendeine Art und Weise „so ticken“, was bedeutet, verfügbar zu sein.

Es ist traurig zu sehen und mitzuerleben, dass es so wenig Respekt vor dem Wesen „Frau“ gibt. Keine umfassende Achtung vor Mädchen/Frauen, sondern eine Betrachtung derer als Lustobjekt.

(Junge) Männer lernen nicht, eine Frau wirklich zu respektieren, solange sie durch die Stadt laufen und hinter Glasscheiben sitzende Prostituierte betrachten können in dem Wissen, dass diese jederzeit für sexuelle Dienste verfügbar sind. Wie eine Packung Zigaretten, die man sich einfach aus dem Regal nehmen kann, wenn einem danach ist. Sie lernen, dass eine Frau wie eine Ware gekauft werden darf. Das prägt sich doch enorm in ihr Gesamtbild von Frauen ein. Einen Mann habe ich persönlich noch nie hinter einer Scheibe sitzen sehen – und ich bin schon an etlichen vorbeigegangen (Ausnahmen gibt es bestimmt). Und weil ich gerade von Respekt sprach:

Viele Männer wissen überhaupt nicht, wie man mit Frauen respektvoll umgeht. Ich meine jetzt speziell den sexuellen Bereich. Respekt bedeutet nämlich in dieser Hinsicht auch, dass man sich mit den Bedürfnissen und dem Lustfaktor der Frau beschäftigt. Freier tun das sowieso nicht, denn in der Prostitution geht es für die Frauen nicht um Lust, sondern es geht um einseitige Bedürfnisbefriedigung des Freiers, der sich die Not- oder Zwangslage der Frau zunutze macht. Ich kenne aber einige Frauen, die nie was mit der Prostitution zu tun hatten, und dasselbe Problem mit ihren Männern zuhause haben. Nämlich, dass diese sich gar nicht dafür interessieren wie weibliche Sexualität funktioniert, sondern einseitige Bedürfnisbefriedigung betreiben. Sie interessieren sich nicht, welche Stellen erogene Zonen sind und vor allem wie man diese Stellen RICHTIG berühren sollte – sie beschäftigen sich soviel mit ihren eigenen (Porno-) Bedürfnissen, dass sie oft nicht wissen wie man einer Frau wirklich einen Höhepunkt bescheren kann; sie wissen nicht, auf was es einer Frau in diesen intimen Momenten wirklich ankommt. Oder wollen sie es nicht wissen? Ich hörte dann immer in der Prostitution von Freiern: „Meine Frau zuhause hat keine Lust auf Sex, deshalb komme ich hier her.“ Dann würde ich mich doch vielleicht mal fragen, WARUM die Frau keine Lust hat. Wenn man in 20 Jahren Ehe nur ein paar Mal einen Höhepunkt erlebt, ist das doch verständlich. Wer will schon ohne Lust zu verspüren ständig Geschlechtsverkehr haben? Kein Mensch (dazu zählen übrigens auch Prostituierte, die dann trotzdem hinhalten)! Deshalb empfehle ich generell mal jedem männlichen Wesen: weibliche Sexualität (besser) (kennen)lernen! Und das lernt man auf GAR KEINEN FALL dadurch, dass man Pornos schaut!

(Junge) Männer müssen in unserer Gesellschaft (erneut) erlernen, was eine Frau, nicht ist: etwas, was man sich kaufen kann; etwas, was man sich kaufen sollte.

Ich wünsche mir sehr, dass es viel mehr Aufklärung in allen Bereichen gibt, die mit der Thematik „Prostitution“ verknüpft sind, um viele (junge) Menschen vor so einer Erfahrung wie ich und viele andere sie gemacht haben zu bewahren. Und auch um solchen Jungs wie dem Freund dieses Mädchens, von dem ich erzählte, die Chance zu geben zu begreifen, dass sie auf einem falschen Weg sind. Und zuletzt gehört es auch dazu zumindest zu versuchen Menschen durch Aufklärung davor zu bewahren erst überhaupt Täter zu werden. Wenn ich Möglichkeiten zu all dem habe, werde ich mich dafür aktiv einsetzen.

Es gibt so viele Schäden nach einem Leben in der Prostitution, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Man muss versuchen noch besser zu vermeiden, dass solche Schäden entstehen. Junge Menschen sollen die erste Liebe mit all ihren anderen Höhen und Tiefen erleben können. Sie sollen eine Kindheit, eine Jugend haben. Sie sollen nicht die Erfahrung machen müssen, gleich wie ein Objekt zwischen Männern hin – und hergeschoben und benutzt zu werden. Niemand sollte diese Erfahrung machen müssen! Und es sind leider nunmal meistens Männer, ohne dass ich hier jemanden diskriminieren möchte.

Jeder von uns kann irgendeinen Teil dazu beitragen, durch Aufklärung Besserung zu schaffen. Und wenn es nur ein kleiner Teil ist, ganz egal.

„Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun,

können sie das Gesicht der Welt verändern.“

…sagt ein afrikanisches Sprichwort.