EU-Parlament über das „nordische Modell“

 

Hier ein kleiner Auszug über Prostitution und die Wirksamkeit des nordischen Modells – vom Europäischen Parlament:

„Es steht jedoch außer Frage, dass es sich bei Prostitution und sexueller Ausbeutung eindeutig um geschlechtsspezifische Phänomene handelt, d. h. Frauen und Mädchen verkaufen – freiwillig oder unter Zwang – ihren Körper an Männer, die für die Dienstleistung bezahlen. Darüber hinaus sind die meisten Personen, die Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung werden, Frauen und Mädchen.

Eine Form der Gewalt gegen Frauen und eine Verletzung der Menschenwürde und der Gleichstellung der Geschlechter

Prostitution und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen sind Formen der Gewalt und somit Hindernisse, die der Gleichstellung von Frauen und Männern entgegenstehen. Nahezu alle Personen, die sexuelle Dienstleistungen kaufen, sind Männer. Die Ausbeutung in der Sexindustrie ist sowohl Ursache als auch Folge der Ungleichbehandlung der Geschlechter und zementiert die Auffassung, dass die Körper von Frauen und Mädchen käuflich sind.

Prostitution ist eine sehr offensichtliche und besonders verabscheuenswürdige Verletzung der Menschenwürde. Da die Menschenwürde in der Charta der Grundrechte ausdrücklich erwähnt wird, ist das Europäische Parlament verpflichtet, über die Prostitution in der EU zu berichten und zu prüfen, auf welche Weise die Gleichstellung der Geschlechter und die Menschenrechte in dieser Hinsicht gestärkt werden können…

Zwei unterschiedliche Ansätze zum Thema Prostitution und sexuelle Ausbeutung in Europa

Die Frage der Prostitution und der Gleichstellung der Geschlechter wird durch die Tatsache verkompliziert, dass es zwei konkurrierende Modelle für den Umgang mit dieser Problematik gibt. Beim ersten Modell wird die Prostitution als eine Verletzung der Rechte der Frauen und als ein Mittel gesehen, die bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu zementieren. Der entsprechende gesetzgeberische Ansatz ist abolitionistisch und kriminalisiert die mit der Prostitution zusammenhängenden Tätigkeiten, in einigen Fällen sogar den Kauf sexueller Dienstleistungen, während die Prostitution selbst nicht illegal ist. Dem zweiten Modell zufolge ist die Prostitution der Gleichstellung der Geschlechter förderlich, indem sie das Recht der Frau propagiert, nach eigenem Ermessen über ihren Körper zu verfügen. Die Befürworter dieses Modells machen geltend, dass die Prostitution nur eine andere Form der Arbeit sei und dass der beste Weg, in diesem Bereich tätige Frauen zu schützen, darin bestehe, ihre „Arbeitsbedingungen“ zu verbessern und die Prostitution als „Sexarbeit“ zu professionalisieren. Somit sind die Prostitution und die damit zusammenhängenden Tätigkeiten im Rahmen dieses ordnungspolitischen Modells legal und geregelt, und es steht den Frauen frei, Manager – auch Zuhälter genannt – anzustellen. Man könnte jedoch auch die Auffassung vertreten, dass die Einstufung von Prostitution und Zuhälterei als normale Tätigkeiten bzw. deren Legalisierung gleichbedeutend ist mit der Legalisierung der sexuellen Sklaverei und der geschlechtsspezifischen Ungleichheit zulasten der Frauen.

In der Europäischen Union gibt es natürlich beide Modelle. In einigen Mitgliedstaaten, z.B. in den Niederlanden, in Deutschland, Österreich und Dänemark ist die Zuhälterei legal, während Prostituierte bzw. einige ihrer Tätigkeiten (wie die Kontaktanbahnung) unter anderem im Vereinigten Königreich, in Frankreich und in der Republik Irland ganz oder teilweise unter Strafe gestellt werden (Hinweis: Frankreich und Irland haben mittlerweile auch das nordische Modell). Allerdings können die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und die sexuelle Unterwerfung nicht wirksam bekämpft werden, wenn man von einer Symmetrie der Geschlechter in der Sexindustrie ausgeht, die es nicht gibt.

Wo Prostitution und Zuhälterei legal sind, häufen sich die Beweise für die Mängel dieses Systems. Im Jahr 2007 räumte die deutsche Regierung ein, dass das Gesetz zur Legalisierung der Prostitution nicht zu einer Verringerung der Kriminalität geführt habe und dass mehr als ein Drittel der deutschen Strafverfolgungsbehörden darauf hingewiesen habe, dass die Legalisierung der Prostitution ihre Arbeit im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Menschenhandel und Zuhälterei erschwert habe. In den Niederlanden erklärte der Amsterdamer Bürgermeister im Jahr 2003, die Legalisierung der Prostitution habe den Menschenhandel nicht verhindert, und es erscheine unmöglich, einen sicheren und kontrollierbaren Bereich zu schaffen, in dem der Missbrauch durch das organisierte Verbrechen ausgeschlossen sei. Dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung zufolge sind die Niederlande derzeit das Hauptzielland für Opfer von Menschenhandel.

Die Wirksamkeit des „Nordischen Modells“

In Anbetracht der Tatsache, dass immer mehr dafür spricht, dass eine Legalisierung der Prostitution und der Zuhälterei die Gleichstellung der Geschlechter in keiner Weise voranbringt und nicht zu einer Verringerung des Menschenhandels führt, wird im vorliegenden Bericht festgestellt, dass der wesentliche Unterschied zwischen den oben beschriebenen zwei Modellen der Gleichstellung darin besteht, dass die Einstufung der Prostitution als normale „Arbeit“ dazu beiträgt, Frauen in der Prostitution zu halten. Dagegen trägt die Einstufung der Prostitution als Verletzung der Menschenrechte der Frauen dazu bei, Frauen von der Prostitution fernzuhalten.

Diese Auffassung wird von den Erfahrungen in Schweden, Finnland und dem Nicht-EU-Mitglied Norwegen gestützt, wo das „Nordische Modell“ für den Umgang mit der Prostitution Anwendung findet. Schweden hat seine Prostitutionsgesetze im Jahr 1999 geändert, um den Kauf von Sex zu verbieten und Prostituierte zu entkriminalisieren. Man kann es auch so ausdrücken, dass die Person, die Sex kauft – nahezu immer der Mann –, nicht jedoch die Prostituierte eine Straftat begeht. In Schweden wurde dieses Gesetz im Rahmen einer allgemeinen Initiative eingeführt, alle Hindernisse auszuräumen, die der Gleichstellung von Frauen in Schweden entgegenstehen.

Diese Rechtsvorschrift hat in Schweden zu erheblichen Auswirkungen geführt. So ist die Zahl der Prostituierten in Schweden nur ein Zehntel so hoch wie im benachbarten Dänemark mit seiner geringeren Bevölkerungszahl, wo der Kauf von Sex legal ist. Das Gesetz hat auch einen Wandel in der öffentlichen Meinung herbeigeführt. So sprachen sich im Jahr 1996 45 % der Frauen und 20 % der Männer für eine Kriminalisierung der männlichen Käufer von Sex aus. Im Jahr 2008 befürworteten 79 % der Frauen und 60 % der Männer das Gesetz. Darüber hinaus bestätigt die schwedische Polizei, dass das „Nordische Modell“ eine abschreckende Wirkung in Bezug auf den Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung hat.

Es liegen immer mehr Beweise dafür vor, dass mithilfe des „Nordischen Modells“ die Prostitution und der Frauen- und Mädchenhandel wirksam verringert und die Gleichstellung der Geschlechter gefördert werden können. Unterdessen sehen sich die Länder, in denen die Zuhälterei legal ist, nach wie vor mit Problemen konfrontiert, die den Menschenhandel und das organisierte Verbrechen im Zusammenhang mit der Prostitution betreffen. Deshalb wird in diesem Bericht das „Nordische Modell“ unterstützt, und die Regierungen der Mitgliedstaaten, die beim Umgang mit der Prostitution einen anderen Ansatz verfolgen, werden aufgefordert, ihre Rechtsvorschriften vor dem Hintergrund der Erfolge in Schweden und in den anderen Ländern, die dieses Modell angenommen haben, zu überprüfen. Auf diese Weise könnten erhebliche Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter in der Europäischen Union erzielt werden.

Dieser Bericht ist nicht gegen Frauen gerichtet, die als Prostituierte arbeiten. In dem Bericht wird gegen die Prostitution, aber zugunsten der Prostituierten argumentiert. Mit der Empfehlung, dass der Käufer – d. h. der Mann, der Sex kauft – als der Schuldige betrachtet wird, und nicht die Prostituierte, stellt dieser Bericht einen weiteren Schritt auf dem Weg zur vollständigen Gleichstellung der Geschlechter in der gesamten Europäischen Union dar.“

Quelle: Europäisches Parlament

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