Dieser Text wird etwas länger. Kürzer geht einfach nicht. Ich habe dem Tag entgegen gefiebert, ihn zu schreiben. Diese Sache bzw. dass überhaupt ein Ermittlungsverfahren lief, das war bis jetzt nicht öffentlich. Es geht um ein bedeutendes Thema. Wer den Text beginnt, sollte ihn bis zum Ende lesen und bei zu wenig Zeit lieber später nochmal vorbei schauen und ihn dann komplett lesen. Es geht um ein wichtiges Kapitel meines Lebens, aber vielmehr noch geht es vor allem auch um allgemeine Dinge im Bereich der Strafverfolgung speziell im Bereich Menschenhandel und der Loverboy-Methode sowie um das Aufzeigen von komplexen Verstrickungen und Mechanismen dort und im Rotlichtmilieu, über die ich immer wieder berichte und die ich nun an meinem Fall noch konkreter und anschaulicher darlegen kann. Es geht auch um die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und den Umgang mit Betroffenen im Bereich der Loverboy-Methode.
Ich habe die Justitia als Bild für diesen Beitrag gewählt. Warum? Dazu möchte ich den Juristen Heribert Prantl zitieren:
"Warum trägt die Justitia eine Augenbinde? Die landläufige Antwort lautet: weil sie ohne Ansehen der Person urteilen will und urteilen soll. Die Wahrheit ist eine andere. Die Justiz schämt sich, sie schämt sich dafür, wie sie mit den Opfern umgeht, sie schämt sich dafür, dass sie sich nur auf die Täter konzentriert, aber es an Fürsorge für die Opfer fehlen lässt. Das ist ein Jahrhundertfehler der Justiz, das gehört abgestellt."[1]
In der Tat, die Justitia schämt sich sicherlich für diese Konzentration auf die Täter und die mangelnde Fürsorge für die Opfer, und ja, dieser Jahrhundertfehler, der auch in meinem Verfahren zu Tage getreten ist, gehört abgestellt.
Das Ermittlungsverfahren gegen meinen Menschenhändler wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sowie Zuhälterei wurde nach über 2 Jahren nun vor kurzem eingestellt.
Ich bin nun einer dieser 400 – 500 Fälle, die im Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung in den Ermittlungsverfahren vorkommen. Für Verurteilungen stehen diese Zahlen noch lange nicht.
Ich bin nun eine Zahl, gehöre nun zu einer Statistik. Bekannte Ermittler gehen davon aus, dass Menschenhandelsfälle in einer sechsstelligen Zahl in Deutschland vorkommen.[2] All diese sieht man im Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung gar nicht. So gesehen kann ich mich glücklich schätzen, dass ich dort nun überhaupt auftauche und nicht im Dunkelfeld geblieben bin. Damit müssen sich viele Betroffene in Deutschland zufriedengeben. Die sechsstellige Zahl an Euros, die mein Zuhälter mir abgenommen hat, die sehe ich nicht mehr. Eine Strafe bekommt er auch nicht. Wobei, die größte Strafe für ihn ist wohl der Weg, den ich jetzt gehe.
Der Staatsanwalt schreibt in seiner Einstellungsverfügung, dass meine Angaben, die letztlich ca. 100 Seiten von Aussagen, Erklärungen und Stellungnahmen umfassen, schlüssig sind und es keinen Belastungseifer bei mir gibt, der über den Tatvorwurf hinausgeht. Aus der Schlüssigkeit und dem Belastungseifer, wenn dieser nicht vorliegt, wird in der Juristerei jedenfalls grundsätzlich auch die Glaubwürdigkeit einer Aussage und des Zeugen geschlossen. Der Kontakt zwischen mir und meinem Zuhälter ist zwar bestätigt sowie auch, dass er Kontakte zum Rotlicht hatte sowie weitere Details mehr, aber der Tatnachweis im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts (= Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch) konnte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nach mittlerweile über einem Jahrzehnt, den der Fall zurück liegt, nicht geführt werden. Auf deutsch: die sehen nicht genügend Beweise, damit eine Verurteilung vor Gericht wahrscheinlicher wäre als ein Freispruch. Leider war dieses Ergebnis von Anfang an sehr wahrscheinlich, denn „Verfahren im Bereich Menschenhandel haben die höchsten Einstellungs- und Freispruchquoten von allen Deliktsfeldern“, sagt Stefan Willkomm (nur zur Klarstellung: Herr Willkomm war nicht mein Staatsanwalt). „Es gibt einen hohen Anteil an Verfahren, die erst gar nicht angeklagt werden können, weil die Beweismittel nicht reichen und somit später auch nicht zu einer Verurteilung führen“, beschreibt Willkomm es weiter.[3] Ich hatte für meinen Fall einen Indizienprozess im Auge, denn Indizien gibt es nach 2 Jahren Ermittlungen hoch und runter. An solch einen Indizienprozess trauen sich aber viele nicht ran, weil sie Angst vor einer „Klatsche“ haben. In meinem Verfahren wurde sich auch leider nicht mit Details beschäftigt, um so weiter vorankommen zu können, und durch Aussagen, Hinweise und durch die gesamten Indizien das Puzzle zusammenzusetzen und ein Gesamtbild zu entwerfen, was aber eine unerlässliche Voraussetzung für einen Indizienprozess gewesen wäre. Sich mit vielen Details und Puzzleteilen zu beschäftigen wäre natürlich viel aufwendiger und umfangreicher gewesen, aber das Delikt Menschenhandel sollte ernst genug sein, um sich diese Zeit nehmen zu können. Der Staatsanwalt schreibt in der Einstellungsverfügung, dass weitere zielführende Ermittlungsansätze nicht existieren. Es gab diese Ermittlungsansätze, man hat es sich nur viel zu einfach gemacht.
Innerlich habe ich gehofft, dass dieses Verfahren bald vorbei ist, weil es mir seit nun über 2 Jahren an die Nerven geht, und trotzdem habe ich bis zum Schluss gekämpft, denn ich wollte für mich selbst sagen können: ich habe alles mir Mögliche versucht, was nach knapp 10 Jahren noch möglich war. Ich wollte diese Ungerechtigkeiten nicht kampflos hinnehmen. Ich wollte, dass Gerechtigkeit gesprochen wird und ich wollte nicht jener Teil sein, warum dies nicht geschehen kann. Ich wollte nicht weiter Teil des Systems des Schweigens sein, welcher das Rotlichtmilieu überhaupt erst derart gedeihen und erfolgreich in Bezug auf die Ausbeutung von Frauen sein lässt. Schon früh lernte ich die Gesetze des Schweigens im Milieu kennen. Das Rotlicht als andere Welt, über die man mit „soliden“ Menschen nicht sprechen darf. Ich habe mich aber dazu entschlossen nicht mehr zu schweigen, auch nicht mehr gegenüber offiziellen Behörden. Ich habe mit der Anzeige meinen Teil getan und kann mich nun guten Gewissens im Spiegel anschauen. Darüber bin ich sehr froh.
Ich hatte lange mit mir gehadert, ob ich anzeigen soll oder nicht, denn ich hatte nichts mehr gegen ihn in der Hand. Gar nichts. Ich hatte nicht einmal Beweise dafür, dass ich überhaupt mit ihm in Kontakt stand, denn Fotos durfte ich nie von ihm machen. Meine Vergangenheit mit ihm war quasi ausgelöscht. Er war schon immer ein Profi darin, unauffällig und unerkannt zu bleiben. Wer erstattet schon Anzeige ohne jegliche Beweise zu haben? Dass die Leute im Milieu nicht gegen ihn aussagen, war letztlich klar. Da hackt die eine Krähe der anderen nicht das Auge aus, vor allem dann nicht, wenn sie damit selbst ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten würde. Eigentlich war es daher schon ein bisschen irre, was ich da gemacht habe. Eine Frau mit nichts an Beweismitteln in der Hand gegen alle. Das auch vor dem Hintergrund, wo man immer wieder hört und liest, wie Betroffene in so einem Verfahren leiden, weil ihnen oft nicht geglaubt wird, vor allem dann nicht, wenn sie keinerlei Beweise haben, sodass sie später oft traumatisierter aus der Sache rausgehen als hätten sie es einfach sein lassen.
Von vornherein wurde mir daher von anderen Seiten abgeraten anzuzeigen, mein Fall sei zudem viel zu lange her, Behörden seien nicht an so alten Fällen interessiert, etc. Vorher hatte ich die Stabilität und die Sicherheit anzuzeigen nicht und sollte ich es jetzt, wo ich das habe, nur aus dem Grund sein lassen, weil es schon länger her ist? Meine finale Entscheidung dazu war: nein. Solche Ratschläge, es lieber sein zu lassen, zeigen letztlich schon wie sehr die Menschen das Vertrauen in Gesetz und Justiz verloren haben. Man rät Betroffenen oft davon ab Anzeige zu erstatten. Nicht weil man ihnen nicht glaubt, sondern weil man ihnen das, was dann kommen kann und oft auch kommt, ersparen möchte. Dies ist letztlich auch ein perfekter Arbeitsraum für die Menschenhändler, denn nur wenig Frauen zeigen diese Männer an und falls sie angezeigt werden, kommt häufig nichts oder nur eine geringe Strafe dabei raus. Sie haben also die Chance auf hohen Profit mit dem Handel und der Ausbeutung von Menschen, meist von jungen Mädchen und Frauen, während sie nur wenig Konsequenzen befürchten müssen. Ich war daher von Vornherein in einem Klima unterwegs, welches mich nicht ermutigte diesen Schritt der Anzeige für die Gerechtigkeit zu gehen. Es war nicht einfach die Anzeige trotzdem zu stellen, aber ich musste es tun. Für mich. Anzuzeigen fühlte sich an wie eine Befreiung. Ich habe mich endlich gewehrt. Letztlich konnte ich es auch nicht mit mir vereinbaren, ein Jura-Studium begonnen, aber meinen eigenen Ausbeuter nicht wenigstens angezeigt zu haben, denn ich habe das Jura-Studium allein aus dem Grund aufgenommen, weil ich gegen die Missstände in diesem Bereich und gegen diese Kriminellen vorgehen möchte. Darüber existiert ein Chat aus dem Jahr 2015, in dem ich schreibe, dass ich bald Jura studieren werde, um später gegen Zuhälter vorzugehen. Lieber hätte ich eine richtige Schlammschlacht in Kauf genommen als ihn gar nicht anzuzeigen. Dazu kam es nicht, aber die letzten über 2 Jahre waren dennoch schwierig für mich.
Eine quasi träge Haltung habe ich dann auch bei den Behörden gespürt. Um viele Ermittlungsmaßnahmen musste ich kämpfen, manche wurden gar nicht oder nur an der Oberfläche durchgeführt. Lag es an zu wenig Personal, lag es an zu wenig Ressourcen, an zu wenig Erfahrung speziell in dem Deliktsbereich „Loverboy-Methode“ (bei deutschen jungen Frauen)? Ich weiß es nicht, an was es lag, aber mit solchen Ermittlungen kann man jedenfalls weder Menschenhandel noch organisierte Kriminalität effektiv bekämpfen. Viele Dinge wurden auch gar nicht richtig ausgewertet und eingeordnet. Meine Anwältin hatte auch eine weitere Stellungnahme nach der letzten Akteneinsicht geschickt, leider war das Verfahren kurze Zeit vor Zugang der Stellungnahme bereits eingestellt worden. Eine Einstellungsbeschwerde erspare ich mir, denn ich sehe seit nun über 2 Jahren hier kein zielführendes Engagement seitens der Behörden. Es scheint hier kein ausreichender Wille vorhanden zu sein und wenn dieser nicht vorliegt, dann gibt es auch sicherlich keinen Weg, und ich sitze leider nicht dort, wo man es in die Hand nehmen könnte. Es wurden nach 2 Jahren Ermittlungen nicht einmal Finanzermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft von meinen Tätern durchgeführt. Wer solche Dinge nach über 2 Jahren nicht macht, wer das Thema nicht ausreichend in seiner ganzen Komplexität versteht (dazu weiter unten noch), wer sich nicht in so einen Fall wie den meinen wirklich reinhängt (oder nicht reinhängen kann, falls die Ressourcen fehlen), wer nicht links und rechts liest, wer nicht Widersprüche und Schutzbehauptungen von anderen widerlegt, die geradezu danach schreien, widerlegt zu werden, etc., da bringt auch eine Einstellungsbeschwerde nichts, denn es würde nicht anders weitergemacht werden als bisher, die Motivation/die Ressourcen/die Erfahrung den Fall ernsthaft aufzuarbeiten wird dadurch nicht kommen, wenn dies bisher nicht da war. Zudem wurde die Zeit verpasst, was das größte Problem ist, weshalb ich hier auch gar nicht weitermachen kann. Mein Zuhälter hat bereits alle Akten gelesen sowie jeden weiteren Ermittlungsansatz, den u.a. ich auflistete, sodass er mittlerweile viel zu gut vorbereitet ist und andere Personen viel zu gut vorbereiten kann und dies bei manchen sicherlich auch bereits getan hat. Ich lasse daher los und stecke meine Energie in die Zukunft anstatt in die Vergangenheit. Insgesamt bin ich enttäuschter von den Behörden als von der Einstellungsverfügung an sich.
Christoph Metzelder bekommt für Kinderpornografie 10 Monate auf Bewährung. Für was kämpft man hier eigentlich? Was ist eigentlich los mit unserem Rechtsstaat? Vor allem im Bereich sexueller Ausbeutung und Gewalt haben wir keinen Rechtsstaat.
Beweismittel und Indizien haben sich in den 2 Jahren Ermittlungen dennoch gesammelt, sodass man mit logischem Menschenverstand und Erfahrung in dem Deliktsbereich „Loverboy-Methode“ auf das kommt, was ich auch angezeigt habe.
Ich war im Jahr 2004 wegen Magersucht in Behandlung in einer Klinik. Ich verletzte mich selbst. Ich schrieb Gedichte darüber, wie ich mich fühlte, wie es mit meiner Mutter war. Es existiert ein Text einer Strafanzeige aus dem Jahr 2010, die ein ehemaliger Freund von mir nach dem Kontaktabbruch zu ihm damals stellte, aus der hervor geht, dass ich 2006 als 16-Jährige von meinen Tätern, die mit Bordellbetreibern und weiteren Unternehmern im Bereich der Prostitution und des Rotlichts zu tun hatten, über das Internet mittels Vertrauensaufbau für die Prostitution rekrutiert wurde. Dass der Einstieg über Onlineplattformen verlief. Es existiert ein E-Mail-Verkehr dieses meines ehemaligen Freundes mit der Polizei von damals, datiert auf das Jahr Anfang 2010, in dem dieser auch Waffenkriminalität schildert und derart Angst hatte, Strafanzeige gegen meinen Zuhälter zu erstatten, dass er die Anzeige anonym stellte und seinen Namen nicht einmal preisgeben wollte, als er mit der Polizei im E-Mail-Austausch war, weil er Racheakte befürchtete. Die Beteiligten, mein Zuhälter bzw. seine Freundin, die mich anwarb (früher ebenfalls Prostituierte), sowie die Bordellbetreiberin eines Bordells, in dem ich ausgebeutet wurde, kannten sich bereits vor meiner Zeit. Klingt nach Causa Rudloff? Ja, in Teilen ähnlich. Letztlich alles das, was ich sowieso immer erzähle.
Eine Frau beschreibt mich vor dem Kontakt zu meinem Zuhälter als Mauerblümchen, das nur zu Hause saß und lernte. Es existieren Chatverläufe sowie eine Aussage, die bestätigen, dass mein Zuhälter mein erster Geschlechtspartner, ich vor ihm Jungfrau, war. Die logische und vor allem biologische Konsequenz dessen ist, dass ich vor meinem Zuhälter keinen Geschlechtsverkehr gehabt haben kann, ergo auch nicht in der Prostitution gewesen sein kann. Das hatte er noch behauptet, bevor diese Beweismittel vorlagen. Daran kann man sehen, dass seine Einlassung dazu eine reine Schutzbehauptung war (Schutzbehauptung = eine falsche Aussage mit dem Ziel, durch eine Lüge die eigene Schuld zu verbergen und einer Strafe zu entgehen). Hier wurde sehr gut sichtbar, dass er lügt, um zu verdecken. Von der Staatsanwaltschaft wurde das allerdings überhaupt nicht aufgegriffen. Mit Schutzbehauptungen und Widersprüchen hat man sich letztlich gar nicht beschäftigt, was allerdings sehr wichtig gewesen wäre.
Da kommt dann also so ein Mitte 30-Jähriger (mein Zuhälter), der Kontakt zum Rotlicht hat, der weitere zwei Frauen hatte, die in der Prostitution waren (eine davon ist die Frau, die ich im Chat zuerst kennenlernte und die mich ihm dann zuführte), und das jungfräuliche Mauerblümchen, das zuvor nur am Schreibtisch saß, ich, wird plötzlich ganz aus voller Selbstbestimmtheit zur willigen Hure, die u.a. in einem Flat-Rate-Bordell sitzt? Klar. Eine Person beschrieb meine Verhaltensveränderung seit dem Kontakt mit dem Beschuldigten und sagte sogar aus, dass ich ihr damals gegenüber äußerte, dass ich mich prostituiere, um zu versuchen diesem Mann (meinen Zuhälter) zu helfen seine Schulden abzubezahlen. Diese Person sagte ebenfalls aus, dass es den Eindruck machte, dass mich die Frau, die ich zuerst im Internet kennenlernte und die mich dann dem Zuhälter zuführte, im Chat für diesen Zuhälter eingefangen hat. Dass die Aufnahme und Fortsetzung meiner Prostitution auf seine Veranlassung erfolgte, kann man außerordentlich gut sehen, wenn man einfach nur 1+1 zusammenzählt. Auf wessen Veranlassung soll das sonst gewesen sein? Das jungfräuliche Mauerblümchen, das vor dem Beschuldigten noch nie Sex hatte und nur lernte und am Schreibtisch saß, geht auf einmal anschaffen wegen seiner Schulden und das macht sie natürlich ganz ohne seine Veranlassung einfach so aus Juks und Tollerei? Natürlich, und morgen ist Weihnachten. Und seine Ex, die im selben Haus wie er und nach meinem Umzug zu ihm auch ich wohnte, weil es nämlich ihr Haus war, die weiß natürlich angeblich überhaupt gar nichts von Prostitution und Rotlicht, obwohl sie ihn schon ewig kennt. Weder will sie wissen, dass ich oder die anderen zwei Frauen Prostituierte waren (die übrigens auch im selben Haus, im Haus dieser Ex, jedenfalls teilweise anwesend waren und eine davon, die wie ich sogar dort, IN IHREM HAUS, gemeldet war, will sie nicht einmal namentlich kennen), was sie aber bestätigter maßen waren, noch, dass mein Zuhälter überhaupt Milieu-Kontakt hatte, die er allerdings auch der Staatsanwaltschaft nach zweifelsfrei hatte. Die Staatsanwaltschaft weiß also mehr als seine Ex, die zusammen mit ihm in einem Haus wohnte, sogar zusammen mit ihm arbeitet (!) und ihn über zwei Jahrzehnte kennt? Klar, ein ganz tolles Theaterspiel ist das hier. Drei (Ex-) Prostituierte in ihrem Haus, aber von Prostitution und Rotlicht hat man angeblich noch nie was gehört. Verarschen kann sich die Ex auch selbst. Wer logischen Menschen – sowie Sachverstand besitzt, der sieht, was hier abgeht und wie hier „gemauert“ wird. Vor Gericht kann man nur leider grundsätzlich nicht allein mit logischem Menschen – und Sachverstand argumentieren. Hat man es nicht schwarz auf weiß, hat man meistens Pech gehabt. Ein Indizienprozess ist zwar möglich, wird aber oftmals nicht in Angriff genommen, dazu bereits meine Ausführungen oben.
Dass ich es damals nach außen hin gegenüber Nicht-Milieu-Personen als Freiwilligkeit verkauft habe (und das bis zu einem gewissen Zeitpunkt ja auch selbst geglaubt habe, was gerade auch das Perfide an der Loverboy-Methode ist), wie ich das immer wieder erzähle, erschwert das Ganze natürlich, da innere Vorgänge sowie das, was im Hintergrund zwischen mir und meinem Zuhälter ablief, die Manipulation, die Täuschung, die emotionale Erpressung, die Angst, etc., niemand sehen kann. Allerdings gab es bereits Anfang 2010 eine Strafanzeige sowie Kontakt mit der Polizei wegen des Verdachts auf Menschenhandel an meiner Person. Damals war ich nicht in der Lage was zu sagen, aber jetzt spreche ich darüber, worüber ich damals nicht sprechen konnte. Warum hat man mir jetzt nicht richtig zugehört? Warum hat man mich bei Auftauchen von Fragen während des Verfahrens nicht erneut vernommen, wie es mehrmals angeboten wurde, um die Ermittlungen fördern zu können? Warum hat man es sich derart einfach gemacht, obwohl man weiß, dass es bereits damals einen Verdacht auf Menschenhandel gab?
Dann gibt es noch die Zeit, wo ich es nach meinem Zuhälter wirklich noch für mich gemacht habe, weil ich nach der Ausbeutung und diesen ganzen Erfahrungen nicht einfach von jetzt auf gleich in ein anderes Leben zurückkonnte. Ich war in diesem Leben drin. Wer die Ausstiegsschwierigkeiten, die Psychologie und die Mechanismen, das Trauma, dahinter nicht versteht, der denkt schnell: „Guck, die hat‘s auch mal freiwillig gemacht, also kann das doch alles nie so schlimm gewesen sein.“
Falsch. Gerade weil es so schlimm und vor allem so prägend war, gerade weil man so kaputt gemacht wurde, kann man dort auch nach der Ausbeutung noch bleiben. Weil man taub ist, weil die Würde eh schon weg ist. Es bleiben nach der Ausbeutung viele Frauen noch lange Zeit allein drin, weil sie auch meist gar keine Grundlage haben, um von heute auf morgen aufhören zu können, wenn der Zuhälter zuvor alles Geld genommen hat. Wer nichts mehr spürt, wem nichts mehr weh tut, wer nichts mehr fühlt, weil er schon so zerstört von den Erfahrungen zuvor ist, wer traumatisiert ist, wer keinen Platz mehr in der Gesellschaft für sich sieht, wer sich wie ich damals schämt Hilfe zu suchen und dort, wo ich war, auch keine Hilfe zum Ausstieg angeboten wurde, der schafft den Ausstieg nur langsam oder auch gar nicht mehr und läuft große Gefahr, in die nächste Ausbeutungssituation zu geraten. Warum der Ausstieg nach derartigen Erfahrungen so schwer ist, das verstehen viele nicht.
Dass nahezu alle Frauen, die ausgebeutet werden, nach außen hin erzählen, dass sie sich freiwillig prostituieren, das ist auch das generelle Problem im Milieu – sie denken sich irgendwelche Geschichten aus bzw. bekommen von ihren Zuhältern gesagt, was sie sagen sollen und müssen. Eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle Solwodi sprach bei einer Veranstaltung am 28. April das auch für sie große Problem an, dass sie auf viele Frauen treffen, die sich auch gar nicht als Opfer von Menschenhandel wahrnehmen. Das fehlende Opferbewusstsein in diesem Bereich, darüber sprechen viele Menschen[4] sowie auch ich ständig. Dieser Aspekt, dessen Kenntnis mittlerweile so weit verbreitet ist, nämlich dass viele Betroffene sich nicht oder häufig jedenfalls lange nicht als Opfer von Menschenhandel wahrnehmen, wie es auch bei mir der Fall war, der wurde in meinem Fall scheinbar nicht ansatzweise bedacht.
Wo das Geld ist, was ich an Steuern und Einnahmen offiziell angab, ganz einfach, weil ich offiziell etwas angeben musste, damit ich mit den Behörden keine Probleme bekomme, da man von diesen im Bordell gesehen und registriert wurde und die davon ausgehen, dass man auch etwas verdient hat (was man ja auch hat, nur das meiste Geld eben beim Zuhälter gelandet ist), das fragt sich scheinbar auch niemand. Auf mein Konto wurde all das Geld nicht einbezahlt, da herrschte 23 Monate (abgekürzter Tatzeitraum) lang Ebbe. Ok, umgerechnet ca. 3,60 Euro pro Tag, um genau zu sein, wurden da in bar einbezahlt. Andere Geldeingänge kamen nicht von mir und hatten mit meinen Prostitutionseinnahmen nichts zu tun. Ich war nach dem Schulabbruch 2009 Vollzeit in der Prostitution, wohnte dann sogar im Bordell. Ca. 3,60 Euro pro Tag! Gesehen wird aber nur: es gab Einzahlungen, es wurden Steuern angemeldet.
Eine Anmeldung sagt nicht automatisch, dass Frauen selbstbestimmt arbeiten, Steuern zu zahlen bedeutet nicht automatisch, selbstbestimmt zu arbeiten. Das verkennen viele. Viele Frauen müssen auch irgendwelche Verträge für ihre Zuhälter abschließen und unterschreiben, wenn dieser etwas haben möchte, allerdings unauffällig bleiben will und das nicht auf seinen Namen erwerben möchte. Das läuft zwar dann vom Namen her auf die Frau, aber es ist trotzdem nicht ihrs. Es ist nur ihr Name. So war das bei mir mit angegebenen Steuern und Einnahmen für den Ausbeutungszeitraum. Es war mein Name, aber bis auf Kleinstbeträge nicht mein Geld. Wenn man nicht drum rumkommt, Steuern zahlen zu müssen (in einem Bordell war auch mal die Steuerfahndung), dann muss der Zuhälter damit leben, dass ein paar Steuern abgegeben werden müssen, denn ansonsten verdient er halt gar nichts an „seiner“ Frau, bzw. man fickt doppelt, für den Zuhälter und dann noch für eine gewisse Summe für den Staat. Mal davon abgesehen, dass die meisten Steuern, die angegeben wurden, erst im Jahr 2012 von meinem Konto abgebucht wurden, d.h. zu einem Zeitpunkt, wo ich nicht mehr komplett ausgebeutet wurde. Mein Steuerberater war übrigens auch der Steuerberater der Bordellbetreiberin, in deren Haus ich ausgebeutet wurde und meine Täter sowie die Betreiberin sich bereits vor meiner Zeit kannten.
Wo, wenn nicht auf meinem Konto (wo das ganze Geld nicht war), soll denn das ganze Geld gewesen sein? Unter meiner Bettdecke im Puff, wo ich gewohnt habe, habe ich das ganze Geld aus der Prostitution sicher nicht versteckt. Mein Zuhälter hat mir das Geld immer abgenommen, wenn er u.a. regelmäßig in das Bordell reinkam und mit mir in einen Raum/Séparée verschwand, in dem die Geldübergaben stattgefunden haben. Dass er öfter in dieses Bordell kam, wo ich im Keller dann wohnte, und er mit mir alleine in einen Raum/Séparée verschwand, ist übrigens belegte Tatsache. Achs so, nur um Missverständnisse zu vermeiden: dass er nicht mein Freier war natürlich auch.
Eine Wirtschafterin aus demselben Bordell, mit der ich vor ein paar Jahren bei Facebook noch schrieb und telefonierte, die kam auf polizeiliche Vorladung nicht zur Vernehmung, sie wollte keine Aussage machen, weil sie sich an kein Gesicht mehr erinnern könne, auch nicht, wenn man ihr ein Bild vorlege, und sie mit dem Milieu abgeschlossen habe. Eine förmliche Vernehmung im Auftrag der Staatsanwaltschaft hat – trotz meiner Forderung, dies zu tun – nicht stattgefunden, um sich mal zu erkundigen, warum diese Frau auf einmal mein Gesicht nicht mehr kennen will. Wenn denn alles so toll und harmlos und zwanglos in diesem Bordell war, wo mein Menschenhändler und Zuhälter öfter aufkreuzte und mit mir in einem Raum verschwand (ich muss es leider wiederholen, weil es so offensichtlich ist, was hier passiert ist), warum hat man auf einmal eine derartige Amnesie? Das nennt man die sogenannte Rotlicht-Amnesie: wer nichts sagt, der bekommt keine Probleme, also tut man so, als ob man es nicht weiß. Die Menschen schweigen nach außen hin. Eines der Gesetze des Rotlichts: zu sprechen bedeutet Verrat, und Verrat bedeutet in den allermeisten Fällen schwere Konsequenzen.[5]
Die nächste Rotlicht-Amnesie:
Die Bordellbetreiberin und eine andere Wirtschafterin, wieder aus demselben Bordell, in dem ich im Keller wohnte und wo die vorher genannte Wirtschafterin mein Gesicht nicht mehr kennen will, wollen von Druck oder Zwang nichts mitbekommen haben. An zwei Momente, wo der Zwang und die Ausbeutung für diese beiden Frauen mehr als offensichtlich wurde, kann ich mich mehr als gut erinnern:
1. Als ich mich von meinem Zuhälter endgültig ablösen konnte, fragte mich die Bordellbetreiberin wieviel ich ihm zahlen musste, um mich frei zu kaufen. An diesen Moment erinnere ich mich sehr gut. Sie fragte mich das in einer Normalität, als ob sie mich gerade fragen würde, wieviel Euros ich für die Breze beim Bäcker nebenan bezahlt habe. Sie saß gerade an einem Spielautomaten in ihrem Bordell, als ich in das Zimmer kam und ihr von der Trennung bzw. Lösung erzählte. Wir haben uns nach ihrer Frage länger in die Augen gesehen und mehr gab es dazu nicht zu sagen, denn das ist alltägliche Normalität im Milieu. Über Details redet man letztlich nicht. Und wer so etwas fragt, der hat natürlich nie gedacht, dass ich unter Druck oder Zwang stehe? Klar. Natürlich wird sie das niemals zugeben, denn dann wäre sie – wie Jürgen Rudloff[6] – sehr wahrscheinlich selbst dran. Nein, derartigen Gewaltattacken wie viele Frauen im Paradise war ich nicht ausgesetzt, aber dies ist auch keine Voraussetzung für die Strafbarkeit von Menschenhandel und Zuhälterei. Bei mir lief es zunächst über ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis, das gezielt aufgebaut und ausgenutzt wurde, dann auch über Einschüchterung, Unterdrückung sowie auch Drohung und Angst, wenn ich allein an die Szene denke, wo die Frau mich aus dem Fenster werfen wollte, nachdem die Polizei nach der Strafanzeige meines ehemaligen Freundes an der Haustüre geklingelt hatte.
2. Die Wirtschafterin bekam es mehr als deutlich mit, als ich zunächst zu einem Kurzurlaub von 2-3 Tagen in Kroatien im Jahr 2012 ja sagte und kurz davor absagte, weil mein Zuhälter mir das verbieten wollte. Ich heulte ihr in der Umkleide im Bordell deswegen die Ohren voll. Dass ich vor dem Kurzurlaub absagte, das ist noch bekannt, aber der Grund, den weiß man angeblich nicht mehr. Die nächste Amnesie also. Ich bin dann später in den Urlaub nachgefahren, weil ich mir dachte: egal was kommt, ich fahr jetzt. Meine Lösung von ihm war ein längerer Prozess, Schritt für Schritt, bei dem ich immer öfter anfing „nein“ zu sagen und mich zu wehren. Dass ich nicht mehr kann habe ich ihm oft gesagt, es hat ihn nie interessiert, er drängte und kassierte weiter ab, was bedeutete, dass ich dort im Bordell festsaß und mir kein Leben aufbauen konnte. Wie denn, ohne Geld. Erst als ich im Jahr 2011 einen psychischen Zusammenbruch hatte und er ein psychisches Wrack vor sich hatte, was ihm wohl „zu heiß“ sowie ich ihm auch langsam „zu kaputt“ wurde, begann Ende 2011 der richtige Lösungsprozess, wobei dieser Schritt, sich das auch zu trauen und mein eigenes Geld aus der Prostitution einzubehalten, jedenfalls zunächst in größeren Teilen und nicht mehr nur Kleinstbeträge, mir viel Angst bereitet hat, denn ich habe mich vorher nie in der Lage, nicht in der Position, dazu gefühlt „nein“ zu sagen, denn immer wenn ich was andeutete mit einem „nein“, wurde mir gleich klar gemacht, dass das Geld, welches ich verdiene, nicht meins ist. Eine Diskussion gab es darüber gar nicht mehr, denn es war einfach schon so normal, dass ich „arbeite“ und er kassiert. Mein schlechter psychischer Zustand hat letztlich dazu geführt, dass ich kein „angenehmes“ Material mehr für ihn war und mein „nein“ daher bessere Wirkung erzielte. Ich musste zwar keine feste Ablöse an sich zahlen und konnte ab Ende 2011 einen großen Teil des Geldes für mich behalten, um mich aus dieser Situation (Festsitzen im Bordell, keine Wohnung, abgebrochene Schule, etc.) nach und nach „rauszuarbeiten“, er kam aber trotzdem noch bis Mitte 2012 mit Geldforderungen an bis ich mich in seinem Verständnis der „alten Schule“ des Milieus nach „freigekauft“ hatte. Wenn mich wer fragte, so wie die Bordellbetreiberin, musste ich auch deutlich machen, dass ich mich freigekauft habe, denn es ging um seinen Namen im Milieu, um seine Ehre. Eine „Alte“, die einem Zuhälter „gehörte“ und dann nicht mehr und da aber trotzdem noch rumläuft, das geht nur, wenn sie sich freigekauft hat, ansonsten würde der Zuhälter von anderen Zuhältern und Leuten im Milieu als Schwächling angesehen. Einen größeren Teil des Geldes behalten und das Bordell verlassen zu können bedeutet nicht gleich Freiheit. Frei ist man nur, wenn der Zuhälter ganz weg ist und gar nicht mehr ankommt und keine Geldforderungen mehr stellt und einen gar nicht mehr kontrolliert. Diese Freiheit hatte ich erst ab Mitte 2012. Ach so, und es sei hier angemerkt, dass ich diesem Mann nie Geld geschuldet habe. Wenn ich also von „Geldforderungen“ spreche oder schreibe, die er mir gegenüber stellte, so war das niemals eine Forderung, die berechtigt war. In seinem Sinne waren diese Geldforderungen eben deshalb berechtigt, weil ich seins war, weil ich ihm gehörte.
3. Natürlich haben die beiden Personen unter Nr. 1 (Bordellbetreiberin) und Nr. 2 (Wirtschafterin) heute noch guten Kontakt und sind sogar am selben Tag zusammen zur Vernehmung zur Polizei gekommen, nachdem die Bordellbetreiberin ihren alleinigen Vernehmungstermin am Vernehmungstag zunächst absagte mit der Begründung, sie sei krank. Bei der nächsten Kontaktaufnahme sagte sie dann, sie treffe heute ganz zufällig die Wirtschafterin, die noch mehr zu mir sagen könne. Nachdem die beiden sich also zuvor über das Ermittlungsverfahren bereits ausgetauscht hatten, kamen sie danach am selben Tag zur Vernehmung. Eine gute Comedy. Ihr könnt das zusammenzählen, ja? Ich brauche hier nicht weiterschreiben. Causa Rudloff geht in abgewandelter Form in die nächste Runde.
4. Dass mein Zuhälter öfter ins Bordell kam und mit mir in einen Raum verschwand, hat natürlich niemanden von denen beiden gewundert? Was soll er denn bitte in dem Raum gemacht haben, außer mir mein Geld abgenommen zu haben? Er kam ins Bordell, mit mir in einen Raum/ Séparée und dann ging er wieder. Er hat mir dort bestimmt nicht die Händchen vor dem nächsten Freier gehalten.
5. Falls die beiden Frauen hier mitlesen: danke für die Freundschaft, an die ich damals glaubte. Nicht. Besonders bei der Bordellbetreiberin tut es mir weh, dass sie ihren Mund so überhaupt nicht aufkriegt. Ich habe sie mit der Zeit geliebt wie eine Mutter, ich habe noch heute ihre Kette, die sie mir schenkte. Einen Buddha, sie sagte es sei ein Familienstück. Aber ja, warum tut es mir eigentlich weh, denn letztlich war ich nur die Ware für sie, die mein Zuhälter für ihren Laden und damit für sie beschafft hatte – so wie es auch im Text der Strafanzeige vom Jahr 2010 steht. Als ich in ihrem Bordell war hat sie genauso viel an mir verdient wie mein Zuhälter, denn dort herrschte das Prinzip 50/50. Habe ich vom Freier 200 Euro bekommen, hat 100 Euro die Bordellbetreiberin kassiert und die anderen 100 Euro bekam zu meiner kompletten Ausbeutungszeit bis auf Kleinstbeträge mein Zuhälter. Ich war so viel wert, wie ich Geld gebracht habe. Kleine Gesten wie die Kette waren letztlich nur dazu da, damit ich gut „funktioniere“ und möglichst auch den Freier um 7 Uhr früh noch mache, der besoffen und zugedröhnt aus der Disko kommt und aufgrund seines Zustands ganz besonders unkontrolliert ist. „Arbeitszeit“ dort war offiziell von 20 Uhr abends bis 6 Uhr morgens, inoffiziell mussten die Frauen, die dort schliefen und wohnten, aber oft auch länger zur Verfügung stehen. Diese Momente gab es oft, wo ich unten im Keller im Zimmer schon im Schlafanzug und nach einer durchzechten Nacht müde und kaputt im Bett lag und an meiner Tür geklopft und gesagt wurde, dass da noch ein Mann geklingelt hat, der noch „ficken“ will. Wenn ich dann sagte, es geht heute nicht mehr, hieß es oft „bitte bitte, wir müssen doch jedes Geld mitnehmen“. Die Menschen im Milieu wissen, dass die Frauen besser funktionieren, wenn sie eine familiäre Bindung verspüren, deswegen wird diese auch häufig aufgebaut. Ich wollte niemanden enttäuschen. Schön blöd kann man sagen, aber das ist Milieustrategie. Die meisten Frauen in der Prostitution sehnen sich nach Liebe, nach Zugehörigkeit, nach Anschluss – diese Sehnsüchte werden für den Profit und die Ausbeutung genutzt. Dass ich eine Bindung zu der Bordellbetreiberin und auch der Wirtschafterin hatte, hat meinem Zuhälter genutzt, denn er profitierte auch davon, wenn ich um 7 Uhr morgens dann nochmal einen Freier machte. Dass ich ihn liebte und dort überhaupt zum Anschaffen anfing, weil er mich u.a. dort hinbrachte, um seine vorgeblichen Schulden zu bezahlen, hat wiederum der Betreiberin genutzt. Sie hat von seinen Handlungen und er von ihren Handlungen profitiert. Es ist traurig das zu sagen, aber ich habe Menschen geliebt, die nur Euroscheine in mir gesehen haben. Die Bordellbetreiberin sowie mein Zuhälter, sie beide haben damit Geld verdient, dass eine junge Frau mit familiären und psychischen Problemen Sehnsucht nach Liebe hatte. Hätte ich eine junge Frau derart ausgenutzt, ich könnte niemals mehr glücklich werden. Ganz toll habt ihr das gemacht! Klopft euch auf die Schulter. Wenn ihr, liebe Leser und Leserinnen, irgendwo lest, dass ein Bordellbetreiber etwas von familiärem Klima in seinem Bordell faselt, dann wisst ihr jetzt: das ist nichts Positives.
6. Eine andere junge Frau, die auch in diesem Bordell ausgebeutet wurde (und dies den Beteiligten ebenfalls bekannt war), die sagt auch nichts. Kein Wunder, ihr eigener damaliger Zuhälter (ein Mann, der für seine Gewaltbereitschaft auch bekannt ist), sitzt wegen Totschlags im Gefängnis, weil er seine „Neue“ umgebracht hat. Ich verstehe, dass sie nichts über damals sagen möchte, dennoch habe ich langsam auch die Nase voll von Frauen, die solche Männer auf ewig schützen, vor allem dann, wenn diese Männer so weit gegangen sind, einen anderen Menschen zu töten. Irgendwann sollte der Zeitpunkt kommen, wo man seinen verdammten Mund aufmacht. Wenn nicht für sich, dann zum Schutz anderer Frauen, die danach kommen.
7. Der Staatsanwalt schreibt nur, dass die Bordellbetreiberin und die Wirtschafterin nicht den geringsten Hinweis auf eine Ausbeutungssituation wahrgenommen haben. Man verkenne zwar nicht ihre Rolle im Milieu, aber weiter schreibt er dazu nichts. Dass die objektive Lage, dass da eine junge Frau war, die nach einem Schulabbruch kurz vorm Abitur dann im Bordell im Keller wohnte und Vollzeit-Prostituierte war, die bis Ende 2011 nahezu nichts auf ihr Konto einbezahlte (November 2009 bis Oktober 2011 = ca. 3,60 pro Tag), ihr „Mann“ regelmäßig ins Bordell kam und in einen Raum mit ihr verschwand, und eine Frau, die dort als Wirtschafterin arbeitete und mit der ich vor noch nicht allzu langer Zeit noch bei Facebook schrieb, mein Gesicht auf einmal nicht mehr kennen will, schon ein bisschen arg komisch ist und allein diese Situation jedenfalls ein Hinweis für eine Ausbeutungssituation ist (von der einige dort wussten und daran profitiert haben), vor allem vor dem Hintergrund der damaligen Strafanzeige und des E-Mail Verkehrs mit der Polizei aus dem Jahr 2010 sowie der Zeugenaussage einer Frau, die angab, dass ich ihr damals gesagt habe, dass ich mich wegen seiner Schulden prostituiere, das spricht er gar nicht an. Wie ich das immer nur wieder sagen kann: unsere Gesetze und die legalen Strukturen helfen den Ausbeutern und denen, die mit ihnen kooperieren, nicht aber den Frauen. Im ganzen Verlauf des Verfahrens schien mir, dass die logischen Zusammenhänge weder gesehen noch verstanden werden wollten.
Es ist auch die eine Sache, einen Fall nicht gerichtsfest machen zu können. Vor allem dann, wenn er 10 Jahre her ist und jemand wie ich ohne jegliche Beweismittel startet (wobei sich ja sehr viel in den letzten 2 Jahren gesammelt hat, was man in das Delikts-Phänomen einordnen und dann hätte weitermachen müssen).
Die andere Sache ist es, die Betroffenen zu retraumatisieren – mit Worten und einem falschen Umgang. Das muss niemand bei den Strafverfolgungsbehörden. Ich sehe es jetzt mit ein wenig Abstand mal lockerer und sage: das müssen viele dort noch lernen. Der Grund: vor allem der fast letzte Satz in der Einstellungsverfügung, der in etwa lautet: ein Chat (in der Akte) aus dem Jahr 2008/Beginn 2009 lege nahe, ich sei bereits damals eine selbstbewusste junge Frau gewesen, die ihre Lebensführung eigenverantwortlich und selbstbestimmt getroffen habe. Das schreibt der Staatsanwalt, nachdem er in der Akte auch deutliche Hinweise auf Rotlicht- und Waffenkriminalität vorliegen hat und nicht nur meinen Angaben nach, sondern auch der Strafanzeige aus dem Jahr 2010 entnommen werden kann, dass ich bei Rekrutierungsbeginn 16 Jahre alt war. Das schreibt er, nachdem er weiß, dass ich 2004 im Alter von 15 Jahren stationär wegen Magersucht in Behandlung war, nachdem er Gedichte von mir vorliegen hat, die über Selbstverletzung sowie über Gewaltzufügung von meiner Mutter handeln. Eines meiner Gedichte, welches ich im Alter von 15 Jahren über die Zustände bei mir zuhause schrieb, bevor ich meinen Zuhälter kennenlernte, lautet so:
Niemand hört mich!
Es gibt Milliarden Menschen auf dieser Welt,
egal ob jung oder alt,
doch gibt es nur einen der zu mir hält?
Oder lass ich alle kalt?
Warum sieht nur jeder weg,
wieso lassen mich alle allein,
ist das der Sinn und Zweck,
einem Menschen Hilfe zu sein?
Ich hab mich krank gemacht,
dass jemand mich sieht in meiner Not,
und was hat's mir gebracht?
Nichts, außer fast den Tod.
Ich wollte es nicht,
ich wollte nicht krank sein,
doch jeder sah nur mein lächelndes Gesicht,
und niemand dachte er müsse für mich da sein.
Zu hungern, mich selbst zu verletzen,
das war alles ein Hilfeschrei,
niemand versucht sich in meine Lage zu versetzen,
trotzdem, es ist vorbei.
Ich will nicht mehr leiden,
nur weil mir andere weh tun,
ich habe aufgehört zu schneiden,
und was nun?
Das was ich suche habe ich trotz all diesen Sachen nicht bekommen,
niemand holt mich aus diesem schrecklichen Haus,
dass niemand mir hilft, hat mir meine Hoffnung genommen,
denn ich komm hier niemals raus!
Nie wieder will ich krank sein,
nie wieder will ich mich wegen anderen zerstören,
wenn niemand hört mein Schrein,
werde ich damit aufhören.
Mein Herz schreit,
denn es hat nach Liebe gesucht und keine gefunden,
niemand ist bereit
mich rauszuholen und zu sehen meine Wunden.
Ich habe auch Gedichte zuhause, wo ich über konkrete Suizidgedanken geschrieben habe. Wer dann in mein Leben trat, war mein Zuhälter bzw. erst die Frau, die mich ihm dann zuführte. Es wurde verstanden auf meine emotionalen Defizite einzugehen, um mich bestmöglich in die emotionale Abhängigkeit und Ausbeutung treiben zu können, was ja auch geschafft wurde. So eine wie ich, das war ein relativ leichtes Abendessen für einen Menschenhändler. Anstatt diese ganzen Jahre von mir (2006 – finaler Ausstieg) in den Gesamtzusammenhang einzuordnen, meine Persönlichkeitsentwicklung – und Prägung zu analysieren, werden einfach irgendwelche Bruchstücke dazwischen rausgezogen und wird dann so ein Satz mit „selbstbewusst und selbstbestimmt“ rausgehauen. Ich habe ein paar Sätze in diesem Gedicht oben in fett markiert, denn sie trafen in diesem Ermittlungsverfahren in anderer Weise erneut zu. Vor allem der Satz, dass man letztlich gar nicht versucht hat, sich in meine Lage und Situation mit meinem Zuhälter zur damaligen Zeit hineinzuversetzen, den Eindruck macht es jedenfalls. Bereits damals heißt, der Staatsanwalt schätzt mich wohl jetzt als selbstbewusst ein und überträgt das, wie ich jetzt bin, auf damals.
Heute wirke ich selbstbewusst und ich denke, das war auch ein großes Problem in diesem Verfahren, wie man anhand dieses Satzes mutmaßen kann. Ich wirke zu selbstbewusst, um in der Vorstellung vieler jemals Opfer gewesen sein zu können. Ich habe die Ermittlungsbehörden während des Verfahrens in einer Stellungnahme auf vielen Seiten zwar sachlich, jedoch eingehend kritisiert. Welches Opfer macht das schon? Welche Justiz, welche Behörde, hört sich gerne Kritik an – und dann auch noch von einer Frau aus der Prostitution? Während des ganzen Verfahrens wirkte ich jedenfalls selbstbewusst und habe mir nicht anmerken lassen, wie – Entschuldigung – beschissen es mir ging. Oh, ich habe geweint. Sehr viel geweint. Aber leise. Für mich. Nach außen hin nicht sichtbar. Ich stehe durchgehend in der Öffentlichkeit und habe öffentlich über 2 Jahre lang kein Wort darüber verloren, dass ein Ermittlungsverfahren läuft, weil ich Angst hatte, es könnte die Ermittlungsarbeit beeinträchtigen. Weil ich korrekt sein wollte. Die Medien hätten sich darauf gestürzt und es wäre noch mehr Chaos entstanden. Im Internet wurde mir derweil von Profiteuren des Milieus unterstellt, ich sei nie in der Prostitution gewesen und ich hätte nie ein Bordell von innen gesehen, während ich schon lange Beweismittel darüber vorliegen hatte, dass ich lange in einem Bordell im Keller schlief und auch wohnte, aber ich musste still sein, diese irrsinnigen Vorwürfe ertragen, um das Verfahren nicht zu gefährden. Wenn Leute mich fragten, ob ich meinen Zuhälter angezeigt habe, dann musste ich ausweichen, da ich über das laufende Verfahren nicht reden konnte. Diese Frage wurde mir von Profiteuren daher besonders oft und gezielt gestellt, weil sie mein ständiges „Ausweichen“ bemerkten und dieses nutzten, um Argumente gegen mich zu bringen. Dies alles kam von Leuten, die mich gerne zum Schweigen bringen möchten, die schon viele Aussteigerinnen zum Schweigen bringen wollten und über so viele Frauen erzählen, sie seien nie in der Prostitution gewesen, weil sie Angst um ihren Profit im Milieu haben, wenn wir sprechen. Ich habe während des Verfahrens und diesen ganzen Spannungen und Belastungen meine Nala an Krebs verloren, sie war das Wichtigste in meinem Leben, und es sind noch viele weitere Dinge passiert, ich habe nonstop Aufklärungsarbeit geleistet und daneben die Examensvorbereitung für das 1. Staatsexamen absolviert.
Eine Frau wie ich, die jetzt so „auf die Pauke haut“, die kann niemals so schwach gewesen sein, dass sie ausbeutbar gewesen wäre, sie muss immer so selbstbewusst gewesen sein, wie sie es jetzt ist? Ich weiß nicht, was sich der Staatsanwalt bei diesem letzten Satz in der Einstellungsverfügung dachte.
Vielleicht hat der Staatsanwalt auch nicht gesehen, dass ich gerade durch das, was ich alles erlebt und durchlebt sowie alleine durchgestanden habe, stark und resilient geworden bin und mich für Gerechtigkeit in diesem Bereich einsetze. Viele gehen in der Prostitution und durch sexuelle Ausbeutung kaputt, ich habe es am Ende geschafft stark zu werden. Meinen steinigen Entwicklungsprozess von einer Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung hin zu einer Frau, die sich konstant und effektiv gegen Menschenhandel und Ausbeutung einsetzt, scheint der Staatsanwalt nicht verstanden zu haben. Das ist schade, denn gerade Frauen, die den Mut finden und anfangen zu sprechen, denen sollte man sehr gut zuhören und sie unterstützen. Wenn man dies nicht tut, so fördert das leider das große Schweigen der Frauen in diesem Bereich, von dem ich zu Beginn des Textes gesprochen habe, was letztlich bedeutet, dass Menschenhandel und Ausbeutung nie effektiv bekämpft werden können.
Letztlich ist diese Äußerung des Staatsanwalts auch ein Resultat des ProstG von 2002 – man geht grundsätzlich davon aus, dass Frauen sich prostituieren wollen. Die ganze Gewalt in diesem System und auch, was diese Gewalt mit vor allem jungen Mädchen und Frauen macht, wenn sie früh in das System kommen, das wird ausgeblendet. Für viele Frauen wird die Gewalt Normalität, weil sie nichts (mehr) anderes kennen (dazu verweise ich auf das Gespräch zwischen Liliam, einer Betroffenen von Kinderhandel, und mir). Nur weil die Gewalt und Ausbeutung in einem gewissen Zeitraum normal für einen wurde, ist sie deshalb nicht ok. Der Blick für das Opfer ist verloren, hingegen werden Formulierungen verwendet, die nahe legen, dass das Problem eines emotionalen Abhängigkeitsverhältnisses, das Menschenhändler insbesondere bei vulnerablen jungen Frauen gezielt erzeugen und nutzen, samt Ausbeutung komplett verkannt wurde, trotz dessen, dass in diesem Chat jedenfalls Hinweise dafür vorliegen. Es liegen sogar Hinweise dafür vor, dass ich in einem doppelten Abhängigkeitsverhältnis stand, da klar wird, dass ich auch eine tiefe Verbundenheit der Frau gegenüber verspürte, die mich als 16-Jährige dem Zuhälter zugeführt hatte, der zuvor ihr Zuhälter war. Jetzt sind die beiden natürlich ganz zufällig verlobt, was bedeutet, dass sie ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Ich bin mir allerdings relativ sicher, dass sie sowieso nie gegen ihn ausgesagt hätte. So etwas nennt man „Lovergirl“. „Lovergirls“ sind Frauen, die dem eigenen Zuhälter andere Frauen beschaffen, damit sie selbst weniger oder gar nicht mehr anschaffen gehen müssen. Ich kenne diese Masche, die es in mehreren Konstellationen und Varianten gibt, gut, da ich sie in einer Form später auch mal bei einer anderen deutschen jungen Frau anwenden sollte, die er zu mir ins Bordell brachte, was ich aber nicht getan habe, obwohl es einfach gewesen wäre, da sie jung und labil war. Ich sollte mich um diese Frau „kümmern“, was hieß: emotional abhängig machen, sie in der Prostitution halten und ihr Geld abnehmen. Ich hatte noch gar nichts gemacht, da lief sie mir schon wie ein Hund hinterher. Ich musste sie regelrecht abwehren, ihr aktiv die kalte Schulter zeigen und sie links liegen lassen, denn ich wusste, wohin es führt, wenn ich ihre Zuneigung zu mir zulasse: ich hätte ihr Geld abnehmen und dieses meinem Zuhälter zuführen müssen. Ja, ich hätte dann selbst weniger anschaffen müssen. Das ist auch der Grund, warum sich auch viele Frauen auf solch einen „Deal mit dem eigenen Zuhälter“ einlassen. Eine Täterin war ich allerdings nicht, lieber habe ich mich selbst massakriert als diese junge Frau, die mir wie ein Spiegelbild von mir damals erschien und nur nach Liebe und Anschluss suchte, in die Ausbeutung zu treiben.
Der deutsche Staat hat sich der Achtung und dem Schutz der Menschenwürde verpflichtet. Für so viele Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution läuft diese Menschenwürde leer. Das ist auch in meinem Verfahren bzw. in dem Satz des Staatsanwalts deutlich geworden:
die Betroffenen haben nicht nur Menschenrechtsverletzungen wie Menschenhandel ungeahndet erfahren, sondern dürfen darüber hinaus von Menschen, die den Staat vertreten, bei so vielen Indizien für Menschenhandel als Menschen bezeichnet werden, die sich diese Lebensführung ja möglicherweise selbstbestimmt ausgesucht haben.
Was soll das eigentlich heißen, „diese Lebensführung“? Mache ich ernsthaft den Eindruck, als fände ich es toll in einem Flat-Rate-Bordell zu stehen und 20 Männer am Tag zu „bedienen“, wo ich für manch einen gerade mal 10 Euro bekam (Anmerkung: dass ich nicht mal diese 10 Euro bekam, weil mein Zuhälter dort 100 % meiner Einnahmen an sich nahm, das lassen wir mal außen vor)? Jede Frau, die da drin war, ist kaputt wieder rausgekommen, wenn sie nicht vorher schon kaputt war. Das soll „eine Lebensführung“ sein, die sich ein einstiges Mauerblümchen selbstbestimmt ausgesucht hat? Wenn jemand nonstop im Bordell sitzt, wie ich dann auch knappe 2 Jahre in dem Nachtclub, dann ist das kein Zeichen von Selbstbestimmung mehr. Vor allem dann nicht, wenn da regelmäßig ihr „Mann“ auftaucht, der mit ihr in einem Raum verschwindet und auf ihrem Konto sehr lange nahezu Ebbe herrscht. Mit „Lebensführung“ hat das nichts mehr zu tun.
Der Machtmissbrauch, festgehalten auch im Palermo Protokoll, zwischen einem knapp 20 Jahre älteren Mann, der sich im Milieu auskannte und der zwei weitere Frauen hatte, die in der Prostitution waren, und einer jungen Frau, die labil war, die familiäre und psychische Probleme hatte, die vor dem Kontakt mit ihm Jungfrau und ein Mauerblümchen war und Gedichte darüber schrieb, wie schlecht es ihr ging, wird scheinbar nicht zur Kenntnis genommen. Dann ist da noch mein Tattoo auf dem Rücken – ein Drache, ein keltisches Kreuz sowie ein Totenkopf. Ich habe oft erzählt, dass, als ich meinen Zuhälter kennenlernte, dieser einen Kontakt- bzw. Chatnamen hatte, der „Drache“ enthielt. Dass er im Chat wirklich so hieß, konnte auch ermittelt werden. Es wurde allerdings kein Wort über dieses Tattoo verloren, obwohl ich es angesprochen und beschrieben habe und es bei dieser Beschreibung und dem Chatnamen so offensichtlich ist, dass es sich hier um ein Eigentums Tattoo handelt.
HALLO, ICH WURDE ALS EIGENTUM MARKIERT! Nichts davon wurde auch nur erwähnt. Dass Prostitution als Dienstleistung wie jede andere betrachtet wird, stärkt diese Empfindungslosigkeit und Empathielosigkeit den Frauen gegenüber. Auch gegenüber Betroffenen von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Als ob man blind wäre gegenüber offensichtlichen Anzeichen von Menschenhandel und Ausbeutung.
Es ging hier nicht um einen Ladendiebstahl. Es ging um Menschenhandel, um meinen Körper, um meine Seele. Nein, ich habe nicht die schlimmsten Dinge erlebt, die man in diesem Bereich erleben kann, aber das ist kein Grund, ihnen nicht trotzdem intensiv nachzugehen. Dass hier nicht mehr Bemühungen auch seitens der Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens vorgenommen wurden ist traurig. Drogendelikte werden leider oft eindringlicher verfolgt als sexuelle Gewalt und Ausbeutung gegen Frauen.
Das Verfahren gegen meinen Menschenhändler wurde eingestellt. Und wenn morgen die Welt untergeht, ich kann mich im Spiegel anschauen und sagen: bis hierher war es der richtige Weg. Ich habe mich gewehrt, ich habe gekämpft – und das habe ich in den letzten 2 Jahren wirklich.
Ich kämpfe seit Jahren auch dafür, dass vor allem Kinder, Jugendliche und Heranwachsende nicht dasselbe Schicksal erleiden müssen wie ich. Die Loverboy-Methode wurde in großen Teilen auch durch mich immer weiter bekannt. Es kann jede treffen. Ich kämpfe für diese Mädchen, für diese Frauen. Tag ein, tag aus. Das sind keine „Huren“, die es ja so wollten, die so „selbstbewusst“ waren. Es sind junge Mädchen und Frauen, die allein gelassen wurden und von der Gesellschaft erneut allein gelassen werden. Und ja, sie verteidigen oft ihre Täter sowie das ganze Prostitutionssystem, das ist gerade das Problem an der Methode, das u.a. auch im Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung steht. Dann kann man dieses Problem in einem Verfahren benennen oder jedenfalls schreiben, dass es sich möglicherweise um dieses Problem gehandelt haben könnte, anstatt den Betroffenen einfach in einem Satz jedenfalls indirekt zu suggerieren „du wolltest es doch vielleicht so“, denn das ist genau der Grund, der sie lange davon abhielt, Hilfe zu suchen: der Gedanke, selbst schuld an allem zu sein. Das sollte man vor allem dann nicht tun, wenn ein Zeuge aussagt, dass es trotz meiner Verteidigung nach außen hin nicht so ganz freiwillig aussah, von einer Rekrutierung einer Minderjährigen und von Rotlicht – und Waffenkriminalität die Rede ist sowie dass ich damals sogar gegenüber einem Zeugen äußerte, mich zu prostituieren, um zu versuchen dem Mann zu helfen seine Schulden abzubezahlen.
Als ich diesen letzten Satz in der Einstellungsverfügung las, da hatte ich diesen Gedanken wieder. Diesen Gedanken, dass alles meine Schuld war. Dieser Gedanke führte damals dazu, dass ich mir keine Hilfe suchte, weil ich mich so schämte für alles, und weiter in der Prostitution blieb, um mir den Ausstieg Schritt für Schritt selbst zu erarbeiten. Heute schäme ich mich nicht mehr. Auch nicht wegen eines Staatsanwalts, der scheinbar nicht genügend in die Materie eingearbeitet ist, um sensibel genug zu sein und überhaupt das Problem zu verstehen. Und ich werde dafür kämpfen, dass Betroffene solche Sätze, die suggerieren „du wolltest es doch so, du bist schuld“, nie wieder hören oder lesen müssen. Nicht von der Polizei, nicht von der Justiz. Von niemandem. Solange ich lebe, werde ich mich dafür einsetzen, denn es ist mir nicht egal, was mit anderen Mädchen und Frauen passiert und wie sie behandelt werden. Genau für diese kämpfe ich und genau für diese werde ich niemals meinen Mund halten.
Ich habe die Nase gestrichen voll davon, dass Freier Frauen missbrauchen und die Zwangslage oft auch sehen, aber unbescholten davonkommen, dass Menschenhändler und Zuhälter sechsstellige Summen kassieren, während Betroffene von Menschenhandel bei so vielen Indizien einer Ausbeutungssituation, die, wenn man sie mit gesundem Menschenverstand und Erfahrung in diesem Bereich betrachtet und wertet, zeigen, was passiert ist, nicht ausreichend Gehör finden und als „selbstbewusst“ bezeichnet werden. Die Aussage ist nur eines: ein Ausdruck davon, dass keine ausreichende Kenntnis über die (psychologischen) Mechanismen des Rotlichts sowie über Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb einer Ausbeutungssituation, die Täter gezielt erzeugen, bestehen. Täterstrategien von Menschenhändlern, die „Waffen“ dieser Täter, in meinem Fall die Loverboy-Methode, werden hier nicht erkannt. Das Problem ist auch, dass die Behörden in diesem Bereich noch viel zu wenig bis gar nicht geschult sind.
Hier eine Aussage eines anderen Staatsanwalts, der sich mit der Thematik „Loverboy-Methode“ eindringlich beschäftigt hat:
„Sie sind als Staatsanwalt auf Menschenhandel spezialisiert. Hilft ihnen das zu erkennen, ob es sich um eine Loverboy-Methode handelt?
Absolut. Wir bekommen ja keine fertigen Ermittlungsakten, sondern die Verfahren kann man nur führen, wenn man als Staatsanwaltschaft schon von Anfang an dabei ist. Quasi ab der ersten Aussage. Wenn die Geschädigten ihre Aussagen machen, klingen die erst mal so, als sei da keine Form von direktem Zwang angewendet worden. Da braucht man auch viel Psychologie, um die Tricks, die Einwirkungen und die Manipulation zu erkennen, denn die sieht man den Aussagen auf den ersten Blick oft nicht direkt an. Man muss sich dafür interessieren, sich weiterbilden, bis man hinter den Aussagen dieses Delikts-Phänomen erkennt.
Also einem Staatsanwalt, der sich nicht damit auskennt, kann das entgehen?
Es gibt bestimmt die Gefahr. Wie oft es in der Praxis passiert, weiß ich nicht. Aber wenn man da nicht geschult ist und das nicht erkennt, diese Tricks und die Manipulation die dahinter stehen, kann es dazu führen, dass ein Staatsanwalt das Verfahren nicht führt oder relativ früh einstellt.“[7]
Anstatt diesen Satz mit „selbstbewusst und selbstbestimmt“ zu schreiben, den der Staatsanwalt aus meinem Fall geschrieben hat, und damit zu suggerieren, ich wollte ja möglicherweise von der sich selbst verletzenden suizidalen Minderjährigen zur willigen Hure werden und wäre damit ja quasi selbst schuld, sollte sich der Staatsanwalt lieber einmal intensiver damit beschäftigen, wie die Strategien von vielen Menschenhändlern aussehen und sich mit der Manipulation und diesem speziellen Deliktsphänomen „Loverboy-Methode“ beschäftigen. Sowie auch damit, was sexuelle Gewalt mit Menschen macht und wie sich ihr Trauma auswirken kann. Der ehemalige Staatsanwalt und jetzige Polizeipräsident aus Oberhausen, Alexander Dierselhuis, macht in einem Video deutlich, dass es bei Loverboy-Betroffenen sehr oft wichtig ist, ihnen ihre Rolle als Opfer zu verdeutlichen, weil sie es selbst häufig lange nicht sehen können.[8] So war das auch bei mir. Und was macht der Staatsanwalt, der jetzt für meinen Fall zuständig war, nachdem es bereits im Jahr 2010 eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Menschenhandel in Bezug auf meine Person gab und ich heute darüber spreche und erzähle, weshalb ich damals nicht darüber sprechen konnte (nämlich u.a. aus Gründen, die Herr Dierselhuis nennt)? Er schreibt diesen Satz in der Einstellungsverfügung mit „selbstbewusst und selbstbestimmt“. No words. Das ist ein Schlag ins Gesicht, nicht nur für mich, sondern letztlich für alle Betroffenen, deren Vulnerabilität und besondere Schutzbedürftigkeit derart ausgenutzt wurde. In dem Chat, von dem der Staatsanwalt sagt, er lege nahe, ich sei selbstbewusst, wird auch darüber geschrieben, dass ich mich vom Beschuldigten lösen will, aber nicht kann, weil dieser immer wieder ankommt und sagt, dass ich „seine“ bin. Bei dem Wort „seine„, insbesondere in Verbindung mit meinem Tattoo, das ich bereits erklärt habe, müssten schon die nächsten Alarmglocken anfangen zu läuten bzgl. Loverboy-Methode: „seine“, Tattoo = ich gehöre ihm. Genau das ist der Kern der Loverboy-Methode, genauso wie die Isolation vom gesamten Umfeld, die auch bei mir stattgefunden hat. Der ehemalige Freund, mit dem ich da im Chat schreibe, der spricht sogar das Thema Hörigkeit und wie naiv ich in Bezug auf diesen Mann (meinen Zuhälter) bin an. Ich diskutiere da mit ihm quasi, wie bzw. ob ich aus einer Beziehung mit dem Beschuldigten „entlassen“ werde, weil dieser mich nicht gehen lassen will und mich immer noch als „seine“ bezeichnet. Ein total absurdes Chat-Gespräch, worüber ich heute als Frau mit viel Lebenserfahrung nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen kann: möchte ich eine Beziehung nicht, beende ich diese und bitte nicht um Erlaubnis bzw. muss nicht darüber sprechen, Schluss machen zu dürfen. Mit selbstbewusst hat das rein gar nichts zu tun. Und wenn eine junge Frau, wie ich in diesem Chat, über ihr erstes Mal Geschlechtsverkehr spricht sowie darüber, dass es ja ganz normal sei, dass die ersten Male nun mal weh tun, dann hat das auch nichts mit selbstbewusst zu tun. Geschlechtsverkehr mit meinem Zuhälter hat mir letztlich immer weh getan, das wurde normal für mich. Ein selbstbewusster Mensch sagt „stop, hör auf“, wenn er Schmerzen hat, und sucht nicht nach außen hin irgendwelche Ausreden, die rechtfertigen sollen, warum ein anderer ihm weh getan hat und das ok sein soll.
Manche Frauen, die können mit sowas nicht umgehen, was der Staatsanwalt da schreibt, wenn sie das erlebt haben, was ich erlebt habe, oder oft noch viel Schlimmeres. Sie fallen zurück in „ich war an allem schuld“. Das kann aufgrund der Retraumatisierung dazu führen, dass sie zurück in die Prostitution, zurück in die Ausbeutung gehen. Solche Sätze werfen viele Frauen wieder in alte Muster zurück, weil sie genau wieder das suggeriert bekommen, was ihnen ewig auch von ihrem Zuhälter eingeredet wurde und warum sie den Ausstieg (auch nach ihren Zuhältern) lange nicht geschafft haben: du wolltest es doch so, du bist eben eine willige Hure, du bist selbst schuld.
Genau gegen diesen Satz, den der Staatsanwalt schrieb, gegen dieses Stigma bei der Loverboy-Methode, die Betroffenen wollten es halt möglicherweise so und seien selbst schuld, kämpfe ich in der Öffentlichkeit an, denn er führt letztlich dazu, dass Betroffene nicht sprechen, sondern in ihrer Scham und im Schweigen bleiben.
Nicht nur, dass ich so „selbstbewusst“ in diesem Verfahren wirkte und heute öffentlich spreche und gegen Ungerechtigkeiten kämpfe, in meinem Fall passen weitere Dinge nicht in das „typische Opferschema“, sind nicht die Regel:
Dass ich mir nach meiner kompletten Ausbeutung einen (gebrauchten) Mercedes in Cabrio-Format finanziert habe (3.500,- € Anzahlung), ist nicht die Regel. Viele haben ein Bild im Kopf, wie ein Opfer auszusehen hat, wie es sich zu verhalten hat. Wenn es von diesem selbst kreierten und starren Bild und dem Opferschema abweicht, passt es nicht so ganz ins Opferbild. Manche Frauen in der Prostitution werden vor allem nach Ausbeutungs – und Zwangslagen auch kriminell, klauen, haben mit Drogen zu tun, etc. Auch diese werden häufig nicht mehr als Opfer der vorherigen Taten, die an ihnen begangen wurden, anerkannt, denn es wird häufig gesagt (oder gedacht): so jemand kann doch nie Opfer gewesen sein. Andere schaffen den Ausstieg nach der Ausbeutung gar nicht mehr, weil sie so kaputt sind, und werden dann die „ewig freiwillige Prostituierte“. Trotzdem radiert all dies nicht die Verbrechen aus, die dazu geführt haben, dass man überhaupt in dieses System gekommen sowie dort ausgebeutet worden ist. Aber niemand interessiert sich für die Geschichte dieser Frauen und fragt warum, niemand fragt, was vorher war. Ich wurde zwar nicht kriminell und den Ausstieg habe ich am Ende auch geschafft, aber ich habe mir ein Auto finanziert, das nicht ins Opferschema passt. In den Augen von vielen ist es so: entweder ist man ein Opfer, das sich niemals wehrt, welches quasi nie Geld aus der Prostitution für sich behält, oder man ist ganz frei und somit gar kein Opfer. Ein Opfer hat sich an ein ganz bestimmtes Schema zu halten: am besten immer mit Ketten zusammengebunden, nach Hilfe rufend und sich „opferkorrekt“ verhaltend – wenn es davon abweicht wird sein Verhalten falsch gedeutet und es häufig nicht mehr als Opfer gesehen. Was viele nicht verstehen: das macht gerade das Opfersein manchmal auch aus, dass man sich in bestimmten Situationen eben nicht so verhalten kann, wie es die Gesellschaft von einem Opfer erwartet, weil man sich in einem Täter- und Unterdrückungssystem befindet, wo man sich, wenn man keine Hilfe von außen hat, langsam und Schritt für Schritt Freiheiten erkämpfen muss, die oft auch nicht in das Opferschema hineinpassen, und man sich erst zu wehren lernt. Aufgrund der langen Unterdrückungsgeschichte mit meiner Mutter und dann mit meinem Zuhälter habe ich erst spät gelernt, dass ich Grenzen haben darf und sie auch setzen darf. Ich hatte auch keine Vorstellung davon, wie man sich so wehren kann, dass es aufhört. Das Auto war auch ein Schritt mich zu wehren und zu versuchen mich zu behaupten. Freiheitserkämpfungsschritte werden nun zu Lasten der Opfer ausgelegt. Wären die Behörden im Jahr 2010 bei der Strafanzeige meines ehemaligen Freundes meinem Fall eindringlicher nachgegangen, hätten sie an dem Tag, an dem sie mich aufsuchten bzw. kurz nach meiner Vernehmung eine Überwachung veranlasst, eine Hausdurchsuchung durchgeführt (es war in der Strafanzeige sowie in den Mails mit der Polizei von Rotlicht- und Waffenkriminalität die Rede, da sollte man das hinbekommen), hätten sie meinen Zuhälter und seinen wirklichen Namen, zwei weitere Prostituierte sowie den Safe voller Geld oben (zu dem nur mein Zuhälter Zugang hatte) und die Zustände hautnah vorgefunden. Möglicherweise hätte ich dann nicht mehr für ihn lügen können. Zu dem Auto Ende 2011, zu den Steueranmeldungen, etc. wäre es dann vermutlich nie gekommen.
Nein, ich möchte niemandem Vorwürfe machen, es ist damals so gelaufen, wie es gelaufen ist und es bringt nichts zu sagen „hätte, hätte, Fahrradkette“. Wenn diese Frau von damals, ich, jetzt allerdings spricht, bei der es Anfang 2010 schon einen Verdacht auf Menschenhandel sowie Polizeikontakt gab und sogar Waffenkriminalität geschildert wurde, finde ich es traurig und erschreckend, sich ihrem Fall jetzt nicht mit der genügenden Sorgfalt angenommen zu haben. Und das, nachdem ich mir die Mühe gemacht habe um die 100 Seiten an Erklärungen und Hinweisen zu verfassen, die nach Aussage der Staatsanwaltschaft ja auch alle schlüssig sind.
Es ist auch nicht die Regel, dass eine junge deutsche Frau in Bordellen hockt und wohnt, wo sonst fast nur Osteuropäerinnen sind.
Es ist auch nicht die Regel, dass eine Frau, die im Bordell und im Rotlicht verschollen war, eine Juristin wird.
Es ist auch nicht die Regel, dass sie ihr Gesicht in aller Öffentlichkeit zeigt.
Es ist auch nicht die Regel, dass sie die ganze Angst so runterspielen kann, dass sie das überhaupt alles tun kann.
Es ist vieles nicht die Regel in meinem Fall, vieles weicht vom „typischen Opferschema“ ab, aber es ist Realität. Ja, auch viele deutsche junge Mädchen sind von Menschenhandel betroffen. Es sind nicht nur die Osteuropäerinnen.
Jede Betroffene hat ihre eigene Geschichte.
Im Bereich Menschenhandel und Zwangsprostitution haben wir keinen Rechtsstaat, aber ich werde dafür kämpfen, dass wir einen bekommen.
Viele Betroffene gehen nach einem Ermittlungs – und/oder Gerichtsverfahren raus und sagen: hätte ich lieber niemals angezeigt. Ich bin froh, dass ich es getan habe. Es war auch nochmal ein wichtiger Teil für meine persönliche Aufarbeitung dessen, was passiert ist. Dadurch habe ich auch viel gelernt für meinen weiteren Weg, als Opferanwältin, die ich werden möchte.
Jetzt umso mehr, jetzt erst recht!
Ich werde eine Anwältin werden, die für Betroffene kämpft und zwar mit Herzblut und Durchhaltevermögen. Mein erster Fall war mein eigener Fall. Ohne jegliche Beweismittel habe ich angefangen, ich habe angefangen, obwohl mir nahezu jeder davon abgeraten hat, und ich habe über 2 Jahre lang gekämpft. Ich kann sagen, alles versucht zu haben. Genau das war mir wichtig, denn jede Anzeige ist ein bedeutendes Signal im Kampf gegen diese ganzen Menschenhändler und Zuhälter: Frauen stehen auf und schweigen nicht mehr, sondern wehren sich, und ich werde noch viele Frauen ermutigen, denselben Schritt einer Anzeige zu gehen. Und vielmehr noch werde ich mich dafür einsetzen, dass ihre Täter auch hinter Gitter landen.
Wenn ich meinen persönlichen Fall insgesamt betrachte, so gibt es hier letztlich nur einen, der verloren hat. Das ist mein Menschenhändler und Zuhälter. Denn das, was ich bis zum heutigen Tag auf die Beine gestellt habe, dass ich ihn überhaupt angezeigt habe, dass ich so gekämpft habe, dass ich mein damals von ihm streng aufoktroyiertes Schweigen über alles nicht nur gegenüber einzelnen Personen gebrochen habe, sondern in aller Öffentlichkeit darüber spreche, das ist schlimmer als die geringe Strafe, die er unter unseren Gesetzen bekommen hätte. Durch das, was ich mache, geschaffen habe und weiterhin schaffen werde, hat er letztlich lebenslänglich bekommen. Aus dem Leid, das er mir zugefügt hat, habe ich etwas Gutes gemacht und helfe damit vielen anderen Mädchen und Frauen. Dieses Leid hat mir den Weg geebnet, Juristin zu werden, für diese Frauen. Ich werde unserem Gesetzgeber sowie der Justiz in diesem Bereich in Zukunft noch sowas von auf die Nerven gehen, das ist gewiss. Jetzt bin ich hochmotiviert!
Manchmal hat mein Zuhälter zu mir gesagt, ich hätte keine „Eier in der Hose“, wenn ich traurig war, wenn ich sagte, dass ich nicht mehr kann.
Die Einzige, die hier jemals „Eier in der Hose“ hatte, obwohl sie biologisch gesehen keine hat, die war ich. Auch in diesem Ermittlungsverfahren.
Ich bin die letzten Jahre sehr viel gewachsen, gewachsen an Hürden und Steinen, die mir im Weg lagen. An dieser Sache bin ich ebenfalls gewachsen.
Und dann möchte ich am Ende noch ganz direkt das Milieu in dieser Region ansprechen: mein Blick, der liegt bei euch, er liegt auf euch, meine Kontakte im Kampf gegen dieses System werden in dieser Region mehr und mehr, ich bekomme einiges mit, obwohl ich nicht dort bin, und irgendwann wird es sehr eng für einige werden. Mein Herz hängt immer noch dort, ihr werdet mich nicht los und wir werden noch vieles entlarven, was die Profiteure des Systems dort angeht.
[1] 20 Jahre Aktionsbündnis gegen Frauenhandel – Wo der Staat wegschaut – Politik – SZ.de (sueddeutsche.de)
[2] https://www.emma.de/artikel/der-ermittler-337507
[3] https://www.daserste.de/unterhaltung/film/themenabend-loverboys/hintergrund/interview-staatsanwalt-stefan-willkomm-104~_seite-2.html
[4] Fachtagung gegen sexuelle Ausbeutung von Mädchen und jungen Frauen Grußwort Alexander Dierselhuis – YouTube
[5] Rotlicht- und Organisierte Kriminalität (kriminalpolizei.de)
Auszug aus dem Artikel:
„Diese Milieugesetze sind von größter Bedeutung. In der Parallelgesellschaft Rotlichtmilieu finden die Spielregeln und Normen der Allgemeinheit und ihre Gerichtsbarkeit keine Anerkennung. Das Milieu hat eigene Wertvorstellungen, eigene Spielregeln, eigene Gesetze. Es hat eigene Ermittler, eigene Richter und wenn erforderlich auch eigene Henker.
Der Verrat ist nach diesen Milieugesetzen die schlimmste und am härtesten zu ahndende Verfehlung. Und Verrat ist alles, was dem Milieu und seinen Mächtigen Schaden zufügen könnte oder schadet.“
[6] Bordell-Chef Jürgen Rudloff muss ins Gefängnis (faz.net)
Auszug aus dem Artikel:
„Ein sauberes Bordell in dieser Größe ist nicht vorstellbar“, sagte der Vorsitzende Richter am Mittwoch. Geschäftsführer eines Bordells müssten schon dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie mit „Billigung von Menschenhändlern und Zuhältern“ Frauen in ein Bordell schickten; selbst dann, wenn die Betreiber von den konkreten Drangsalierungen keine Kenntnis hätten, so der Richter.„
[7] https://www.daserste.de/unterhaltung/film/themenabend-loverboys/hintergrund/interview-staatsanwalt-stefan-willkomm-104~_seite-2.html
[8] Fachtagung gegen sexuelle Ausbeutung von Mädchen und jungen Frauen Grußwort Alexander Dierselhuis – YouTube
Liebe Sandra,
Zum Prozess selbst kann ich nur sagen, dass ich enttaeuscht bin. Fuer Deutschland im Allgemeinen und vor allem fuer die Hunderttausenden von Opfern wuerde ich mir so viel mehr wuenschen.
Zwei Sachen haben mir noch zusaetzlich einen Stich versetzt:
Es tut mir sehr Leid, dass du Nala gehen lassen musstest. 😦 Das hat mich zwischen der Empoerung richtig traurig werden lassen.
Weisst du, was aus dem Maedchen geworden ist, das du anwerben solltest? Was fuer eine Staerke du da bewiesen hast, nicht selbst zum Taeter zu werden!
Ich fuehle mit dir, ihr von damals und auch mir selbst zu einem aehnlichen Zeitpunkt im Leben. Unter anderen Umstaenden, haetten wir erkennen koennen, was Liebe ist und sie in Freundschaft und Zusammenhalt finden koennen?
Alles Liebe,
Luisa
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Danke für deine Worte, liebe Luisa. Nein, ich weiß leider nicht, was aus dem Mädchen geworden ist. Ich hoffe, dass meine „Kälte“ sie vor Ausbeutung bewahrt hat. Irgendwann komme ich dich mal in Kanada besuchen 🙂 ❤
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Sehr gerne, Sandra! 😊
Ich habe zwar kein Gästezimmer, aber zusammen zelten macht eh mehr Spaß. 😀
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Aber bitte ohne Bären! 😀
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Ich hatte selber eine Chatfreundin, die durch Zufall in in die Pornobrachne reingekommen war….. Das alles geschah über ihren Ex-Mann der sie auf linke Weise dort reingebracht hatte……..
Die Geschichte fass ich kurz zusammen, denn sonst würd` ich hier den Rahmen sprengen!
Es fing alles harmlos an, erst drehte sie mit ihrem Ex-Mann, dann mit Usern………..
Als das „Geschäft“ gut lief, hatte der Kerl sie immer mehr in die Zange genommen! Er zwang sie mit sämtlichenUsern zu drehn, was er vorgegeben hatte, ganz gleich ob sie wollte oder nicht!
Irgendwann plante sie ihre Flucht, nach einem Jahr (insgesamt drehte sie 5 Jahre) gelang ihr das auch!
Die Flucht war für sie eine Befreiung gewesen! Gleichzeitig hörte sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere – die gleichzeitig für sie keine war, auf!
Die Pornobranche war für sie damals schon ein rotes Tuch, und das ist auch heute noch so!
Da hilft das auch nix, wenn sie eines der erfolgreichsten Pornostarts (oder Sternchen) war!
Ach ja, falls jemand wissen will wer das war – aus persönlichen Gründen möcht ich keine Namen nennen!
Nur so viel: sie ist kein Einzelfall – so oder so ähnlich ist es schon vielen Frauen ergangen die entwerder durch Zufall (so wie`s bei ihr der Fall war) reingeschlittert waren oder bewusst eingestiegen sind, ohne sich vorher Gedanken zu machen, was wirklich hinter den Kulissen abgeht! Die Pornobranche ist genauso wie Prostitution ein knallhartes Geschäft, und die Frauen sind immer die Opfer! Die Folgen können genauso gravierend sein wie bei Prostitution!
Außerdem werden die heutigen Pornos immer härter, und die Fantasien nehmen keine Grenzen mehr!
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