Ich möchte zu Anfang meine ganze Solidarität mit den Menschen in der Ukraine bekunden und allen, die helfen und dagegen aufstehen.
Ich möchte zum Zweiten ein Herzensprojekt ankündigen, das gestartet ist:
Es gibt nun
Ge-STAC: Germany’s Survivors of Trafficking and Exploitation Advisory Council:
Deutscher Rat von Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung
Unsere Eröffnungsveranstaltung wird online via zoom im März stattfinden. Weiteres haben wir auch schon geplant. Genauere Informationen dazu kommen bald.
Die Justitia ohne Augenbinde und mit gerader Waage ist unser Logo, denn wir möchten, dass Gesellschaft, Gesetzgeber und Justiz noch besser hinsehen (mehr dazu auf unserer Homepage: https://ge-stac.com/). Ich hatte eine Idee im Kopf bzgl. dem Logo und Alica, ebenfalls Betroffene von Menschenhandel und Ge-STAC Mitglied, hat es designtechnisch umgesetzt – ich finde, sie hat es großartig gemacht:
Wer sind wir?
Ge-STAC wurde von mir ins Leben gerufen und ist eine Organisation von Betroffenen für Betroffene von Menschenhandel und Ausbeutung.
Alle, die bei uns sind, sprechen und agieren aus gelebter Erfahrung heraus.
Wir haben verschiedene Nationalitäten, wohnen in unterschiedlichen Ländern und waren in Deutschland und/oder in anderen Ländern von Menschenhandel und Ausbeutung betroffen. Unsere Expertise ist vielfältig und länderübergreifend.
Wir sind unabhängig und richten den Blick allein auf das, was uns wichtig ist.
Der spezielle Fokus und die spezielle Expertise von Ge-STAC liegen im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und der Ausbeutung in der Prostitution. Unserer Erfahrung nach ist die absolute Mehrheit der in der Prostitution tätigen Personen von sexueller Ausbeutung durch Dritte betroffen (Menschenhändler/Zuhälter). Speziell im Bereich der Prostitution kann sich unseren Einsichten und unseren Erkenntnissen nach eine Ausbeutungslage aber auch durch die Ausnutzung von speziellen Vulnerabilitäten wie Vortraumatisierungen und persönlichen und wirtschaftlichen Zwängen ergeben – durch Sexkäufer/Freier, Bordellbetreiber oder andere Akteure. Wir differenzieren zwischen verschiedenen Bereichen, Stufen und Intensitäten in den unterschiedlichen Formen der Ausbeutung, wir verharmlosen aber keine einzige Form der Ausbeutung. Wir halten es für notwendig, eine angemessene Sprache für das zu verwenden, was wir in diesem System erfahren haben, um keine Form der Gewalt unsichtbar zu machen.
Wir möchten eine große Plattform mit vielen Kooperationen schaffen. Einerseits zur Aufklärung, aber langfristig auch, um Betroffenen helfen und Lebensperspektiven schaffen zu können – für das Leben “Danach”. Die Hilfen beschränken sich oft nur auf Schutzhäuser oder das „Herauskommen“, aber das genügt leider nicht. Es ist häufig so, dass Betroffene in die Ausbeutung zurückfallen, weil sie kein „Danach“ für sich finden und mit den Folgen der Ausbeutungszeit allein gelassen werden. Wir möchten mithelfen, ein „Danach“ zu schaffen.
Wenn ich den Kontakt zu Menschen mag, dann sind es vor allem die Kontakte zu Betroffenen von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung.
Es gibt etwas, das uns ausmacht. Etwas, das uns verbindet: Wir waren alle mal vulnerabel, wir sind an Menschen geraten, die unsere Gutmütigkeit, unser Vertrauen, unsere Menschlichkeit, unsere Loyalität ausgenutzt haben. Wir sind in einem Leben voller Gewalt gelandet, weil wir nach Bindung und Liebe gesucht haben oder weil wir nach Anschluss gesucht haben oder weil wir die Hoffnung auf ein besseres Leben hatten. Weil wir vertraut haben. Weil wir überleben wollten. Weil unsere Herzen gut sind.
Menschen in meinem Freundeskreis sind vor allem Betroffene. Denn diese Form der Herzlichkeit, diese Menschlichkeit und all diese guten Eigenschaften, die auch mit ausschlaggebend dafür waren, dass wir überhaupt in dieses „Leben“ hineingezogen werden konnten, die sind trotz aller erfahrener Unmenschlichkeit immer noch da. Manchmal sind viele Gefühle von Betroffenen zunächst vergraben, unter dem tiefen Trauma, aber sie sind da und man kann sie wieder ausbuddeln.
Viele verlieren auf dem Weg „raus“ oder im Leben „Danach“ die Kraft, weil sie keine Unterstützung haben, keine Menschen, die sie verstehen und für sie da sind. Niemanden, der an sie glaubt. Die Folgen von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung können einen mit voller Wucht treffen. Der Ausstieg/die Flucht heißt nicht automatisch auch, zu überleben. Denn das „Danach“ ist nicht einfach, für viele nahezu unerträglich. Traumafolgen und andere Folgen der erfahrenen Gewalt können psychisch und körperlich belasten, handlungsunfähig machen, einschränken, lähmen, im schlimmsten Fall auch töten, nämlich dann, wenn man dem Trauma und dem Leben „Danach“ endgültig entfliehen möchte, weil man keine Lösung sieht, mit allem umzugehen. Diesen Gedanken, allem entfliehen zu wollen durch Suizid, den haben viele auch während der Zeit im Milieu schon.
Alle von uns können es aber schaffen, ein Leben, gezeichnet von Missbrauch, Gewalt und sexueller Ausbeutung, zu verlassen, auch das schwierige „Danach“ zu überwinden. Daran glaube ich ganz fest. Es braucht Zeit, es braucht Geduld, es braucht Verständnis und Unterstützung.
Auch wenn man manchmal fühlt, dass gerade Endstation ist, ist die Endstation noch lange nicht gekommen, denn nach dem Regen kommt die Sonne. Man muss warten, bis die Wolken vorüberziehen, auch wenn es ein schwerer Sturm ist, der wütet.
Man muss sich an die erste Phase des „weitergehen, fallen, weitergehen, fallen“ gewöhnen und es als „das ist nun eben in dieser Phase so, wird aber nicht immer so sein“ verbuchen, bis irgendwann das Weitergehen ohne das Fallen, sondern nur noch das Ankommen kommt.
Dafür lohnt es sich, den Weg vom Dunkeln ins Licht durchzuhalten. Für ein richtiges Leben, für Sinnhaftigkeit, für Bedeutung, für Träume, für schöne Erlebnisse, für das Erfahren wahrer Freundschaft und Liebe.
Viele reduzieren das Wort Liebe auf partnerschaftliche Liebe oder Liebe in der Familie (Eltern, Kinder, Geschwister, etc.). Liebe geht aber viel weiter oder sollte meiner Meinung nach viel weiter gehen. Liebe bedeutet auch, anderen Menschen – selbst wenn sie einem fremd sind – Hoffnung zu geben, an andere Menschen zu glauben und ihnen das zu sagen, für sie da zu sein, sich manchmal auch mit ihnen an ihren Abgrund zu setzen und einen Plan mit ihnen zu schmieden, wie sie sich vom Abgrund entfernen können. Liebe bedeutet Menschlichkeit. Menschlichkeit auch in Situationen, in denen Menschen keine Liebe erwarten – und es unglaublich heilsam bis lebensrettend sein kann, wenn man sie ihnen selbstlos schenkt und sie unerwartet erfahren, dass da Menschen sind, die sich interessieren, die sich sorgen, denen man nicht egal ist. Manchmal einfach nur durch ein paar nette Worte, Zuhören, Dasein, Annehmen, Verstehen, Wege aufzeigen.
Wenn viele Menschen in unserer Gesellschaft anderen Menschen gegenüber einfach ein bisschen mehr selbstlose Liebe aufbringen würden, dann sähe unsere Welt schon viel schöner aus.
Liebe in Form von Menschlichkeit kann anderen helfen, ihre Mauern fallen zu lassen, Vertrauen zu finden, sich wohler zu fühlen. Sie kann Seelenbalsam sein. Und sie kann am Ende auch helfen, Menschenleben zu retten. In vielen Bereichen.
Was haben wir oben im Text also für ein „Freierexemplar“?
Einen jener Freier, die über andere Freier schimpfen und sich selbst als die Tollen darstellen, weil sie sich – zum Beispiel wie der Freier oben – zuvor geduscht haben und den ausgemachten „Service“ einhalten.
Dann ist dieser Freier oben im Text ja wirklich noch so vermeintlich überzeugt von sich und denkt, er könne einer Frau, die er dafür bezahlt, dass sie sich von ihm penetrieren lassen muss, „ein Lächeln ins Gesicht zaubern“.
Nun, gelächelt habe ich damals auch oft. Allerdings, weil ich es musste und nicht, weil das Lächeln echt war. Zu lächeln und so zu tun, als ob es einem gut geht, ist Teil des „Geschäfts“. Viele Frauen versuchen es zumindest, müssen es versuchen. Man versucht zu lächeln und freundlich zu sein, während man innerlich gerade stirbt. Manche Frauen, die „neu“ in das Milieu kamen, tranken wenig bis gar keinen Alkohol zuvor (wie ich anfangs) und man konnte die Tage zählen, bis sie massenhaft Alkohol tranken, denn ohne Alkohol und/oder Drogen ist es – jedenfalls auf Dauer – nicht möglich, freundlich zu sein und zu lächeln, während man fühlt, sexuell missbraucht zu werden. Und das bis zu 10 – 20 Mal am Tag. Von anderen kenne ich noch höhere Zahlen.
In der Prostitution wird nicht nur von einem erwartet, dass man es aushält und über sich ergehen lässt, sondern es wird darüber hinaus erwartet, dass man Freiern „ein Lächeln“ schenkt, was diese dann so interpretieren können wie der Freier oben im Textausschnitt, nämlich dass sie den Frauen „ein Lächeln ins Gesicht zaubern“.
Dass dieses Lächeln nicht echt ist, wissen die allermeisten Freier, denn es gibt immer Momente, in denen der Gesichtszug aufgrund von unerträglichen Schmerzen und des Nachlassens der Wirkung des Alkohols entgleitet. Das habe ich auch im Hinblick auf andere Frauen beobachten können, wenn ein Freier zwei Frauen haben wollte und ich mit einer anderen Frau und diesem Freier auf Zimmer war. In manchen Momenten, wenn ich gerade nicht „an der Reihe war“, konnte ich die Freier und das, was da gerade zwischen dem Freier und der Frau geschah sowie Augen, Mimik und Gesichtsausdrücke besonders gut beobachten, was mir das Herz zerbrochen hat, denn MAN SIEHT DIE GEWALT, auch dann, wenn die Frau versucht, es nicht als solche aussehen zu lassen. Viele Freier erregt es auch, wenn sie merken, dass man Schmerzen hat und sie sehen, dass man damit kämpft, sich das Weinen zu verkneifen, oder es ist ihnen schlicht einfach egal, ob man lacht oder weint, man wird als lebende Puppe behandelt, die die ausgemachte Zeit herzuhalten hat. Dass es einem schlecht geht, wird von Freiern entweder toll gefunden, als Teil der Machtausübung und Erniedrigung, oder es wird ignoriert. Sie sehen es, aber sie wollen ihren Spaß, sie wollen das, wofür sie bezahlt haben. Momente, in denen der Schmerz mehr als sichtbar wird, blenden sie aus, erwähnen ihn nicht und erzählen dann lieber – ähnlich zum Freier oben – nur von dem „Lächeln“ der Frau, dessen Aufgesetztheit im Übrigen jeder halbwegs normale Mensch mit auch nur ein bisschen Empathie spüren kann.
Der Freier oben sagt, dass er sich duscht und den „Service“ einhält.
Dadurch entsteht aber dennoch kein sexueller Konsens auf Seiten der prostituierten Frau, wirklich mit diesem Menschen intim werden zu wollen. Da kann er sich 20 Mal duschen und schrubben und sich das teuerste Parfum draufsprühen und die Frau in ein 5 Sterne Hotel mit Rosen auf dem Bett empfangen: Eine gefühlte Vergewaltigung, ein gefühlter Missbrauch, ändert sich nicht dadurch, dass jemand nicht stinkt, den „Service“ einhält und dich im Luxushotel empfängt. Ein abwegiger Gedanke, eine ungewollte Nähe und Penetration würde dadurch „nett“, „respektvoll“ oder was auch immer, weil die äußeren Umstände „gut“ sind. Missbrauch ändert sich nicht dadurch, dass man die äußeren Umstände um ihn herum „schön“ gestaltet und versucht, ihn damit „respektvoll“ auszuüben, was im Übrigen auch gar nicht geht. Schmerz ist Schmerz, seelisches Leid ist seelisches Leid, egal ob in einem Keller auf einer schäbigen Matratze oder im Himmelbett mit Champagner und Erdbeeren neben dran, egal ob ein Mensch geduscht oder ungeduscht ist.
Schlimmer geht natürlich immer. Zum Beispiel wenn Freier Drogen genommen haben und handgreiflich werden. Steigerungen von Missbrauch und Gewalt gibt es immer. Dass es immer schlimmer geht, bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass duschen und vermeintliches gut riechen sowie „Service“ einhalten dazu führt, dass es nicht schlimm ist. Viele meiner Freier hatten Parfum dran, wo andere sagen würden: Das riecht doch gut. Nach meinem Ausstieg bekam ich Flashbacks, wenn ich die Parfums meiner damaligen Freier irgendwo an anderen Männern oder in Geschäften gerochen habe. Da es sehr viele Freier und daher sehr viele Parfums waren, war das keine Seltenheit.
Missbräuchliches Verhalten ist und bleibt missbräuchliches Verhalten und man kann es nicht dadurch ausschalten, dass man gut riecht oder sich duscht. Im Gegenteil: Der Geruch wird Teil des Missbrauchs und dann oft zum Triggerpunkt als Traumafolge.
Dass viele meiner Freier sich geduscht und den „Service“ eingehalten haben, hat übrigens an der Tatsache, dass ich von Menschenhandel und Zuhälterei betroffen war und lange Zeit nahezu alles abgeben musste, nichts geändert. Meine Zwangsprostitution ist durch die Dusche und das Parfum eines Freiers nicht schöner geworden.
Gehobener Escort muss auch nicht immer Selbstbestimmtheit heißen, denn Zuhältern ist es natürlich auch lieber, wenn sie pro Stunde mehr kassieren können als in irgend einem Bordell. Als ich im Flat-Rate-Bordell war, musste ich erstmal 15-20 Freier machen, bis mein Zuhälter am Ende des Tages zwischen 150-200 Euro in der Hand hatte, je nachdem wieviel eine Frau pro Freier bekam (was davon abhing wie oft ein Freier mit seiner an den Betreiber gezahlten Pauschale auf Zimmer ging). Durch den Escort und die Haus- und Hotelbesuche bekam ich das oder mehr in 1 Stunde.
Nicht vom Schein trügen lassen:
Nur weil etwas nach außen hin wie Selbstbestimmtheit aussieht, muss noch lange keine dahinter stecken. Nur weil eine prostituierte Frau lächelt, weil sie es – aus unterschiedlichen Gründen – muss, ist dieses Lächeln nicht echt. Nur weil eine prostituierte Frau sagt, dass es ihr gut geht und alles ok ist, weil sie es – aus unterschiedlichen Gründen – muss, heißt das noch lange nicht, dass es auch so ist.
Ich hatte viele Freier, die so geredet haben wie der Freier oben im Textausschnitt – und sie haben mich ganz besonders angewidert, weil sie den von ihnen begangenen Missbrauch verleugnet haben. Die Leugnung von Missbrauch und das Verdrehen von Dingen (z.B. als wäre der Missbrauch etwas „Nettes“), kann auf der emotionalen Ebene noch schwieriger zu ertragen sein.