Ich habe meinen Studienort geheim gehalten, solange ich am Studieren war. Jetzt ist es aber raus:
Ich habe in Passau Jura studiert und aufgrund des Films von Max Kronawitter über meine Arbeit, der am 8.3.22 um 23:40 Uhr bei ARD ausgestrahlt wird, hat mich die PNP (Passauer Neue Presse) angeschrieben für ein Interview. Dieses erschien gestern in der Samstagsausgabe.
Als ich in Passau an der Uni war, las ich immer wieder Artikel über Prostitution in der Region. Auch über das Eroscenter Platin in Passau, das ein sog. Gütesiegel vom BSD bekommen hat.
Ein Ausschnitt aus dem Artikel der PNP lautet:
„Heute besucht Sandra Norak Schulen in ganz Deutschland und klärt über die Gefahren der Prostitution auf. „Es ist ganz wichtig, über Methoden von Menschenhändlern aufzuklären. Es hätte mir damals geholfen, wenn ich von der ,Loverboy‘-Methode gewusst hätte, also dass es Männer gibt, die gezielt nach jungen Mädchen und Frauen suchen, Liebe vortäuschen, eine emotionale Abhängigkeit erzeugen und von Anfang an den Vorsatz haben, die Frau damit in die Prostitution zu treiben und auszubeuten. Als junger Mensch kommt man nicht darauf, dass es so etwas geben könnte.“… Sandra Norak ist sich aus ihren Erfahrungen im Rotlichtmilieu sicher: Die meisten Prostituierten sind Opfer von Menschenhändlern oder Zuhältern. „Manche Frauen werden auch eingesperrt, andere haben keine Zuhälter, aber eine Traumatisierung, wurden zum Beispiel in ihrer Kindheit sexuell missbraucht und kennen es nicht anders. Der Begriff der Freiwilligkeit ist hier ein fragwürdiges Konstrukt, wenn ein Mensch einfach nicht weiß, wie ein Leben ohne Gewalt aussieht.“ Die meisten Freier würden diese Umstände auch durchaus sehen, nehmen sie aber – wortwörtlich – in Kauf. Sandra Norak kennt auch die Regeln des Milieus, weiß, wie die Frauen dazu gebracht werden nach außen hin zu vermitteln, dass sie glücklich sind und freiwillig als Prostituierte arbeiten…Ein großes Anliegen ist der 32-Jährigen, dass Bordellbetreiber künftig nicht mehr so viel in der Öffentlichkeit zu Wort kommen. Sie seien Teil der „Ausbeutungsmaschinerie“. Nach Noraks Erfahrungen ist es in den meisten Fällen nicht möglich, dass ein Bordellbetreiber überhaupt genug Frauen für seine Einrichtung findet, ohne dabei auf Kontakte ins Milieu, zu Menschenhändlern und Co. zurückzugreifen. Auch warnt sie davor, den Gütesiegeln für Bordelle zu vertrauen, die vorgeben, die Frauen würden selbstbestimmt und freiwillig in der Prostitution arbeiten. „Keiner außer die Frauen selbst weiß genau, was die Frauen bewegt, wer oder was dahinter steckt.“ Die ARD-Dokumentation „Echtes Leben: Vom Bordell ins Jurastudium“ ist am Dienstag, 8. März, um 23.40 Uhr im Ersten zu sehen. Weitere Informationen gibt es unter www.sandranorak.com bzw. https://ge-stac.com/„
Ich freue mich über jegliche Menschen in Passau (und natürlich auch woanders), die das Thema nun auch verstärkter in den Blick nehmen.
Wer mal lesen möchte, was Passau für „tolle“ Freier hat, die einfach so über „lustlose“ Frauen drüber rutschen (wobei lustlos ein sehr sichtbares äußerliches Anzeichen davon ist, dass sie – trotz dessen, was sie sagen (muss) – sehr wahrscheinlich nicht möchte, was hier gerade stattfindet, und sie gar vielleicht unter Druck/Zwang steht, was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass Frauen, die gut schauspielern und lächeln – weil sie es müssen – generell ok sind oder ohne Druck/Zwang arbeiten), der lese z.B. das hier:
Ich möchte zu Anfang meine ganze Solidarität mit den Menschen in der Ukraine bekunden und allen, die helfen und dagegen aufstehen.
Ich möchte zum Zweiten ein Herzensprojekt ankündigen, das gestartet ist:
Es gibt nun
Ge-STAC: Germany’s Survivors of Trafficking and Exploitation Advisory Council:
Deutscher Rat von Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung
Unsere Eröffnungsveranstaltung wird online via zoom im März stattfinden. Weiteres haben wir auch schon geplant. Genauere Informationen dazu kommen bald.
Die Justitia ohne Augenbinde und mit gerader Waage ist unser Logo, denn wir möchten, dass Gesellschaft, Gesetzgeber und Justiz noch besser hinsehen (mehr dazu auf unserer Homepage: https://ge-stac.com/). Ich hatte eine Idee im Kopf bzgl. dem Logo und Alica, ebenfalls Betroffene von Menschenhandel und Ge-STAC Mitglied, hat es designtechnisch umgesetzt – ich finde, sie hat es großartig gemacht:
Wer sind wir?
Ge-STAC wurde von mir ins Leben gerufen und ist eine Organisation von Betroffenen für Betroffene von Menschenhandel und Ausbeutung.
Alle, die bei uns sind, sprechen und agieren aus gelebter Erfahrung heraus.
Wir haben verschiedene Nationalitäten, wohnen in unterschiedlichen Ländern und waren in Deutschland und/oder in anderen Ländern von Menschenhandel und Ausbeutung betroffen. Unsere Expertise ist vielfältig und länderübergreifend.
Wir sind unabhängig und richten den Blick allein auf das, was uns wichtig ist.
Der spezielle Fokus und die spezielle Expertise von Ge-STAC liegen im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und der Ausbeutung in der Prostitution. Unserer Erfahrung nach ist die absolute Mehrheit der in der Prostitution tätigen Personen von sexueller Ausbeutung durch Dritte betroffen (Menschenhändler/Zuhälter). Speziell im Bereich der Prostitution kann sich unseren Einsichten und unseren Erkenntnissen nach eine Ausbeutungslage aber auch durch die Ausnutzung von speziellen Vulnerabilitäten wie Vortraumatisierungen und persönlichen und wirtschaftlichen Zwängen ergeben – durch Sexkäufer/Freier, Bordellbetreiber oder andere Akteure. Wir differenzieren zwischen verschiedenen Bereichen, Stufen und Intensitäten in den unterschiedlichen Formen der Ausbeutung, wir verharmlosen aber keine einzige Form der Ausbeutung. Wir halten es für notwendig, eine angemessene Sprache für das zu verwenden, was wir in diesem System erfahren haben, um keine Form der Gewalt unsichtbar zu machen.
Wir möchten eine große Plattform mit vielen Kooperationen schaffen. Einerseits zur Aufklärung, aber langfristig auch, um Betroffenen helfen und Lebensperspektiven schaffen zu können – für das Leben “Danach”. Die Hilfen beschränken sich oft nur auf Schutzhäuser oder das „Herauskommen“, aber das genügt leider nicht. Es ist häufig so, dass Betroffene in die Ausbeutung zurückfallen, weil sie kein „Danach“ für sich finden und mit den Folgen der Ausbeutungszeit allein gelassen werden. Wir möchten mithelfen, ein „Danach“ zu schaffen.
Wenn ich den Kontakt zu Menschen mag, dann sind es vor allem die Kontakte zu Betroffenen von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung.
Es gibt etwas, das uns ausmacht. Etwas, das uns verbindet: Wir waren alle mal vulnerabel, wir sind an Menschen geraten, die unsere Gutmütigkeit, unser Vertrauen, unsere Menschlichkeit, unsere Loyalität ausgenutzt haben. Wir sind in einem Leben voller Gewalt gelandet, weil wir nach Bindung und Liebe gesucht haben oder weil wir nach Anschluss gesucht haben oder weil wir die Hoffnung auf ein besseres Leben hatten. Weil wir vertraut haben. Weil wir überleben wollten. Weil unsere Herzen gut sind.
Menschen in meinem Freundeskreis sind vor allem Betroffene. Denn diese Form der Herzlichkeit, diese Menschlichkeit und all diese guten Eigenschaften, die auch mit ausschlaggebend dafür waren, dass wir überhaupt in dieses „Leben“ hineingezogen werden konnten, die sind trotz aller erfahrener Unmenschlichkeit immer noch da. Manchmal sind viele Gefühle von Betroffenen zunächst vergraben, unter dem tiefen Trauma, aber sie sind da und man kann sie wieder ausbuddeln.
Viele verlieren auf dem Weg „raus“ oder im Leben „Danach“ die Kraft, weil sie keine Unterstützung haben, keine Menschen, die sie verstehen und für sie da sind. Niemanden, der an sie glaubt. Die Folgen von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung können einen mit voller Wucht treffen. Der Ausstieg/die Flucht heißt nicht automatisch auch, zu überleben. Denn das „Danach“ ist nicht einfach, für viele nahezu unerträglich. Traumafolgen und andere Folgen der erfahrenen Gewalt können psychisch und körperlich belasten, handlungsunfähig machen, einschränken, lähmen, im schlimmsten Fall auch töten, nämlich dann, wenn man dem Trauma und dem Leben „Danach“ endgültig entfliehen möchte, weil man keine Lösung sieht, mit allem umzugehen. Diesen Gedanken, allem entfliehen zu wollen durch Suizid, den haben viele auch während der Zeit im Milieu schon.
Alle von uns können es aber schaffen, ein Leben, gezeichnet von Missbrauch, Gewalt und sexueller Ausbeutung, zu verlassen, auch das schwierige „Danach“ zu überwinden. Daran glaube ich ganz fest. Es braucht Zeit, es braucht Geduld, es braucht Verständnis und Unterstützung.
Auch wenn man manchmal fühlt, dass gerade Endstation ist, ist die Endstation noch lange nicht gekommen, denn nach dem Regen kommt die Sonne. Man muss warten, bis die Wolken vorüberziehen, auch wenn es ein schwerer Sturm ist, der wütet.
Man muss sich an die erste Phase des „weitergehen, fallen, weitergehen, fallen“ gewöhnen und es als „das ist nun eben in dieser Phase so, wird aber nicht immer so sein“ verbuchen, bis irgendwann das Weitergehen ohne das Fallen, sondern nur noch das Ankommen kommt.
Dafür lohnt es sich, den Weg vom Dunkeln ins Licht durchzuhalten. Für ein richtiges Leben, für Sinnhaftigkeit, für Bedeutung, für Träume, für schöne Erlebnisse, für das Erfahren wahrer Freundschaft und Liebe.
Viele reduzieren das Wort Liebe auf partnerschaftliche Liebe oder Liebe in der Familie (Eltern, Kinder, Geschwister, etc.). Liebe geht aber viel weiter oder sollte meiner Meinung nach viel weiter gehen. Liebe bedeutet auch, anderen Menschen – selbst wenn sie einem fremd sind – Hoffnung zu geben, an andere Menschen zu glauben und ihnen das zu sagen, für sie da zu sein, sich manchmal auch mit ihnen an ihren Abgrund zu setzen und einen Plan mit ihnen zu schmieden, wie sie sich vom Abgrund entfernen können. Liebe bedeutet Menschlichkeit. Menschlichkeit auch in Situationen, in denen Menschen keine Liebe erwarten – und es unglaublich heilsam bis lebensrettend sein kann, wenn man sie ihnen selbstlos schenkt und sie unerwartet erfahren, dass da Menschen sind, die sich interessieren, die sich sorgen, denen man nicht egal ist. Manchmal einfach nur durch ein paar nette Worte, Zuhören, Dasein, Annehmen, Verstehen, Wege aufzeigen.
Wenn viele Menschen in unserer Gesellschaft anderen Menschen gegenüber einfach ein bisschen mehr selbstlose Liebe aufbringen würden, dann sähe unsere Welt schon viel schöner aus.
Liebe in Form von Menschlichkeit kann anderen helfen, ihre Mauern fallen zu lassen, Vertrauen zu finden, sich wohler zu fühlen. Sie kann Seelenbalsam sein. Und sie kann am Ende auch helfen, Menschenleben zu retten. In vielen Bereichen.
Was haben wir oben im Text also für ein „Freierexemplar“?
Einen jener Freier, die über andere Freier schimpfen und sich selbst als die Tollen darstellen, weil sie sich – zum Beispiel wie der Freier oben – zuvor geduscht haben und den ausgemachten „Service“ einhalten.
Dann ist dieser Freier oben im Text ja wirklich noch so vermeintlich überzeugt von sich und denkt, er könne einer Frau, die er dafür bezahlt, dass sie sich von ihm penetrieren lassen muss, „ein Lächeln ins Gesicht zaubern“.
Nun, gelächelt habe ich damals auch oft. Allerdings, weil ich es musste und nicht, weil das Lächeln echt war. Zu lächeln und so zu tun, als ob es einem gut geht, ist Teil des „Geschäfts“. Viele Frauen versuchen es zumindest, müssen es versuchen. Man versucht zu lächeln und freundlich zu sein, während man innerlich gerade stirbt. Manche Frauen, die „neu“ in das Milieu kamen, tranken wenig bis gar keinen Alkohol zuvor (wie ich anfangs) und man konnte die Tage zählen, bis sie massenhaft Alkohol tranken, denn ohne Alkohol und/oder Drogen ist es – jedenfalls auf Dauer – nicht möglich, freundlich zu sein und zu lächeln, während man fühlt, sexuell missbraucht zu werden. Und das bis zu 10 – 20 Mal am Tag. Von anderen kenne ich noch höhere Zahlen.
In der Prostitution wird nicht nur von einem erwartet, dass man es aushält und über sich ergehen lässt, sondern es wird darüber hinaus erwartet, dass man Freiern „ein Lächeln“ schenkt, was diese dann so interpretieren können wie der Freier oben im Textausschnitt, nämlich dass sie den Frauen „ein Lächeln ins Gesicht zaubern“.
Dass dieses Lächeln nicht echt ist, wissen die allermeisten Freier, denn es gibt immer Momente, in denen der Gesichtszug aufgrund von unerträglichen Schmerzen und des Nachlassens der Wirkung des Alkohols entgleitet. Das habe ich auch im Hinblick auf andere Frauen beobachten können, wenn ein Freier zwei Frauen haben wollte und ich mit einer anderen Frau und diesem Freier auf Zimmer war. In manchen Momenten, wenn ich gerade nicht „an der Reihe war“, konnte ich die Freier und das, was da gerade zwischen dem Freier und der Frau geschah sowie Augen, Mimik und Gesichtsausdrücke besonders gut beobachten, was mir das Herz zerbrochen hat, denn MAN SIEHT DIE GEWALT, auch dann, wenn die Frau versucht, es nicht als solche aussehen zu lassen. Viele Freier erregt es auch, wenn sie merken, dass man Schmerzen hat und sie sehen, dass man damit kämpft, sich das Weinen zu verkneifen, oder es ist ihnen schlicht einfach egal, ob man lacht oder weint, man wird als lebende Puppe behandelt, die die ausgemachte Zeit herzuhalten hat. Dass es einem schlecht geht, wird von Freiern entweder toll gefunden, als Teil der Machtausübung und Erniedrigung, oder es wird ignoriert. Sie sehen es, aber sie wollen ihren Spaß, sie wollen das, wofür sie bezahlt haben. Momente, in denen der Schmerz mehr als sichtbar wird, blenden sie aus, erwähnen ihn nicht und erzählen dann lieber – ähnlich zum Freier oben – nur von dem „Lächeln“ der Frau, dessen Aufgesetztheit im Übrigen jeder halbwegs normale Mensch mit auch nur ein bisschen Empathie spüren kann.
Der Freier oben sagt, dass er sich duscht und den „Service“ einhält.
Dadurch entsteht aber dennoch kein sexueller Konsens auf Seiten der prostituierten Frau, wirklich mit diesem Menschen intim werden zu wollen. Da kann er sich 20 Mal duschen und schrubben und sich das teuerste Parfum draufsprühen und die Frau in ein 5 Sterne Hotel mit Rosen auf dem Bett empfangen: Eine gefühlte Vergewaltigung, ein gefühlter Missbrauch, ändert sich nicht dadurch, dass jemand nicht stinkt, den „Service“ einhält und dich im Luxushotel empfängt. Ein abwegiger Gedanke, eine ungewollte Nähe und Penetration würde dadurch „nett“, „respektvoll“ oder was auch immer, weil die äußeren Umstände „gut“ sind. Missbrauch ändert sich nicht dadurch, dass man die äußeren Umstände um ihn herum „schön“ gestaltet und versucht, ihn damit „respektvoll“ auszuüben, was im Übrigen auch gar nicht geht. Schmerz ist Schmerz, seelisches Leid ist seelisches Leid, egal ob in einem Keller auf einer schäbigen Matratze oder im Himmelbett mit Champagner und Erdbeeren neben dran, egal ob ein Mensch geduscht oder ungeduscht ist.
Schlimmer geht natürlich immer. Zum Beispiel wenn Freier Drogen genommen haben und handgreiflich werden. Steigerungen von Missbrauch und Gewalt gibt es immer. Dass es immer schlimmer geht, bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass duschen und vermeintliches gut riechen sowie „Service“ einhalten dazu führt, dass es nicht schlimm ist. Viele meiner Freier hatten Parfum dran, wo andere sagen würden: Das riecht doch gut. Nach meinem Ausstieg bekam ich Flashbacks, wenn ich die Parfums meiner damaligen Freier irgendwo an anderen Männern oder in Geschäften gerochen habe. Da es sehr viele Freier und daher sehr viele Parfums waren, war das keine Seltenheit.
Missbräuchliches Verhalten ist und bleibt missbräuchliches Verhalten und man kann es nicht dadurch ausschalten, dass man gut riecht oder sich duscht. Im Gegenteil: Der Geruch wird Teil des Missbrauchs und dann oft zum Triggerpunkt als Traumafolge.
Dass viele meiner Freier sich geduscht und den „Service“ eingehalten haben, hat übrigens an der Tatsache, dass ich von Menschenhandel und Zuhälterei betroffen war und lange Zeit nahezu alles abgeben musste, nichts geändert. Meine Zwangsprostitution ist durch die Dusche und das Parfum eines Freiers nicht schöner geworden.
Gehobener Escort muss auch nicht immer Selbstbestimmtheit heißen, denn Zuhältern ist es natürlich auch lieber, wenn sie pro Stunde mehr kassieren können als in irgend einem Bordell. Als ich im Flat-Rate-Bordell war, musste ich erstmal 15-20 Freier machen, bis mein Zuhälter am Ende des Tages zwischen 150-200 Euro in der Hand hatte, je nachdem wieviel eine Frau pro Freier bekam (was davon abhing wie oft ein Freier mit seiner an den Betreiber gezahlten Pauschale auf Zimmer ging). Durch den Escort und die Haus- und Hotelbesuche bekam ich das oder mehr in 1 Stunde.
Nicht vom Schein trügen lassen:
Nur weil etwas nach außen hin wie Selbstbestimmtheit aussieht, muss noch lange keine dahinter stecken. Nur weil eine prostituierte Frau lächelt, weil sie es – aus unterschiedlichen Gründen – muss, ist dieses Lächeln nicht echt. Nur weil eine prostituierte Frau sagt, dass es ihr gut geht und alles ok ist, weil sie es – aus unterschiedlichen Gründen – muss, heißt das noch lange nicht, dass es auch so ist.
Ich hatte viele Freier, die so geredet haben wie der Freier oben im Textausschnitt – und sie haben mich ganz besonders angewidert, weil sie den von ihnen begangenen Missbrauch verleugnet haben. Die Leugnung von Missbrauch und das Verdrehen von Dingen (z.B. als wäre der Missbrauch etwas „Nettes“), kann auf der emotionalen Ebene noch schwieriger zu ertragen sein.
Ich kenne viele Geschichten von Frauen, die nach dem an ihnen verübten Menschenhandel und der Zwangsprostitution „freiwillig“ in der Prostitution blieben oder später in die „freiwillige“ Prostitution gegangen sind. Auch meine Geschichte ist durch eine Phase solch einer Freiwilligkeit geprägt.
Oft fragen sich die Menschen, warum man denn noch freiwillig da bleibt oder wieder zurück geht, wenn alles so schlimm war und man endlich gehen könnte, wenn man da nie wieder sein müsste.
Der Hauptgrund ist: Die Frauen bleiben oder gehen oft zurück, weil sie keine Perspektive sehen, keinen Ausweg sehen, keinen Lebensmut mehr haben und dieses Leben während der Ausbeutung zwischen Missbrauch und Gewalt in der Prostitution derart prägend und traumatisierend war, dass sie fühlen, durch die ganzen Freier ihre Würde verloren zu haben, am Rande der Gesellschaft zu stehen, nirgends mehr hinzugehören. Nirgends, außer in die Prostitution. Oft ist die spätere freiwillige Prostitution auch Teil des Versuchs, die Kontrolle über den eigenen Körper zurückzugewinnen. Wo vorher die Täter Geld mit dem Körper der Frauen verdient haben, wird von diesen später versucht, das nun selbst zu tun. In dem Glauben, so bekämen sie ihre Selbstbestimmung zurück. In der Hoffnung, die Ausbeutung wäre dann nicht mehr ganz so schlimm, weil man nun auch etwas „davon hat“. Dann kommt auch häufig irgendwann der nächste Zuhälter oder wieder der alte Zuhälter und die Ausbeutung geht weiter. Nicht selten folgt daraufhin ein Teufelskreis, der die Frauen über Jahre oder auch Jahrzehnte weiter in diesem System festhält – ohne dass sie jemals dorthin wollten.
Umgedreht ist es mit Missbrauchsopfern in der Kindheit, die später „freiwillig“ in die Prostitution einsteigen. Hier gibt es vielleicht nicht immer einen Täter beim Einstieg in die Prostitution. Der Täter, der der Frau ihre Würde geraubt hat, war aber schon in der Kindheit da.
In all diesen Varianten der „freiwilligen“ Prostitution gab es zuvor Täter, die schwere Straftaten an den Frauen begangen haben, und zwar solche, die einen Menschen in seiner Persönlichkeit brechen können. Diese Frauen sind in Bezug auf eine Reviktimisierung hoch gefährdet. Ein gebrochener Mensch wehrt sich oft nicht mehr. Er nimmt hin. Er erträgt. Er funktioniert. Er hat sich mit der Gewalt abgefunden. (Sexuelle) Gewalt auszuhalten ist für diesen Menschen normal geworden.
Wir haben also fortan die freiwillige Prostituierte.
Und Teile unserer Gesellschaft jubeln den Spruch der Profiteure:
„Sexarbeit ist Arbeit“
…ohne zu wissen, was bei den Allermeistenhinter dieser „Arbeit“ steckt und wieviel (sexuelle) Gewalt ein Mensch ertragenmusste, damit er das irgendwann „freiwillig“ tut.
Die vielfältigen Traumatisierungen von Betroffenen von Gewalt in diesem Bereich sind mit der einfach menschlichen Logik „wenn es Gewalt ist, geh‘ doch nicht mehr hin“ nicht zu erfassen. Wer sehr viele Frauen im System Prostitution verstehen möchte, der muss verstehen lernen, wie sich Gewalt – vor allem sexuelle Gewalt (durch Freier, Zuhälter, etc.), geprägt von den mitunter schlimmsten menschlichen Erniedrigungen und Demütigungen, die das Intimste eines Menschen betreffen – auswirken kann. Wer diese Frauen verstehen möchte, muss verstehen lernen, wie sich komplexe Traumatisierungen auswirken und zu Tage treten können – ohne die Betroffenen zu pathologisieren. Nur wer versteht, der kann auch helfen.
Heute wurde ich wieder einmal als ehemalige „Sexarbeiterin“ bezeichnet. Ich weiß, dass viele das nicht böse meinen, da dieser Begriff zur Verwendung propagiert wird, mit dem Argument, so würde man Frauen aus der Prostitution nicht stigmatisieren, aber genau das tut ihr damit in Bezug auf die Masse der Frauen in der Prostitution, die dort Leid und Gewalt erleben. Ich möchte daher an dieser Stelle nochmal an meinen kleinen Text zu dem Begriff „Sexarbeit“ erinnern:
Ich war das ganze Wochenende über sehr traurig. Der Grund, warum ich das mit euch teile, ist themenbezogen. Es geht darum, dass der Menschenhandel für die Betroffenen nicht aufhört, nur weil die Tat beendet ist. Das kann sich verschieden äußern. Körperliche Folgen, Traumafolgen, die Liste ist lang.
Heute wurde begonnen das Tattoo, das mein Zuhälter mir damals stechen ließ, um mich als sein Eigentum zu markieren, wegzulasern. Falls ihr neu hier seid und nicht wisst, um was es geht, hier findet ihr es: Tattoos als Eigentumsstempel. Es werden bei mir wohl mindestens 10 Sitzungen werden.
Gestern überlegte ich noch, ob ich alle Lasertermine absagen soll. Heute früh auch noch, denn am Wochenende brachte ich in Erfahrung, dass beim Weglasern von größeren Tattoos krebserregende Stoffe und andere toxische Spaltprodukte im Körper freigesetzt werden können, da die Farbteile des Tattoos mit dem Laser in unzählige kleine Teile zersprengt werden, von denen wohl viele im Körper verbleiben und sich im Lymphsystem und möglicherweise auch woanders im Körper ansiedeln. Alles noch zu wenig erforscht, um sicher sagen zu können, was das wirklich im Körper macht. Warnungen gibt es aber zahlreich.
Das Weglasern ist schmerzhafter als das Tätowieren selbst, es fühlt sich an, als würde man eine Nadel nehmen und diese im Millisekundentakt über deinen Rücken jagen. Zum Glück dauert eine Sitzung nicht so lange. Normalerweise schmiert man sich vorher eine Betäubungssalbe drüber, ich habe das nicht, weil ich es erstmal so ausprobieren wollte. Die Prozedur ist mit 10 Sitzungen oder noch mehr langwierig. Nach jedem Lasertermin braucht es 4 – 8 Wochen, damit die Haut zur Ruhe kommt, bevor man weiter lasern kann, daher wird die Zeit, bis das Tattoo weg ist, auf 1-3 Jahre angesetzt. Dazu bestehen Risiken. Und dann ist es noch nicht mal ganz sicher, dass das Tattoo auch wirklich ganz weggehen wird. Der Arzt meinte, dass es oft so ist, dass man nach der 3 oder 4 Sitzung die ersten richtig sichtbaren Ergebnisse sieht.
Die letzten 3 Tage habe ich mich damit beschäftigt, ob ich das alles wirklich möchte oder nicht doch lieber absagen soll. Der Grund, warum ich so arg zweifelte da heute hinzugehen und warum ich so traurig war ist, weil ich nicht mehr möchte, dass mein Körper aufgrund meiner Vergangenheit noch einmal leidet. Er hat so viel Schaden erlitten damals, es ist genug. Mein Körper hat mich durch all den Horror mit den Freiern getragen, unzählige und höllische Schmerzen durch die ganzen Penetrationen ausgehalten, hat mich durch den hohen Alkoholkonsum, in den schlimmsten Zeiten durch 2-3 Schachteln Zigaretten am Tag, durch meine Selbstverletzungen, durch katastrophale Ernährung und Magersucht getragen und sich bis heute wacker geschlagen. Viele Frauen, die in der Prostitution waren, hassen ihren Körper danach. Ich tue das nicht. Ich liebe meinen Körper, denn ich bin meinem Körper so extrem dankbar. Dankbar dafür, dass er noch atmet, läuft, fühlt. Dankbar, dass er nicht schlapp gemacht hat, obwohl er jahrelang mit Füßen getreten und missbraucht wurde. Wer hält sowas aus, ohne kaputt zu gehen? Mein Körper hat es ausgehalten, er ist mir heilig. Und jetzt, nachdem er das alles ausgehalten und mich da durchgetragen hat, soll ich ihm nun 1 bis 3 Jahre in monatlichen Abständen die nächsten Schmerzen und ungewissen Nebenwirkungen zufügen – wieder wegen dieser Vergangenheit? Jetzt, wo er endlich zur Ruhe gekommen ist?
Ich war traurig, weil ich diese Tattoo-Entfernung für mich persönlich durchführen muss, was bedeutet, meinen Körper erneut zu verletzen. Ich möchte mit diesem Tattoo nicht auf Dauer leben, ich möchte diese Markierung nicht mehr sehen. Ich bin niemandes Eigentum. Auch wenn ich dem Tattoo eine andere Bedeutung geben kann und das die letzten Jahre auch getan habe, so hat es trotzdem die ursprüngliche Bedeutung, die es hat. Im Sommer war ich beispielsweise Freitauchen und habe auf 5 Meter Tiefe am Boden ein paar Übungen gemacht (wie Flossen aus- und wieder anziehen), die meine Freundin mit der GoPro Kamera aufgenommen hat. Als ich die Videos sah, sah ich wieder dieses Tattoo, wieder die Vergangenheit in meiner Gegenwart, wieder die Erinnerung, dass dieser Mann mich als seinen Besitz markierte und mir sagte, das Tattoo wird dies immer zeigen, egal wo, egal wann, egal was passiere. Auf ewig seins. Das Symbol auf meinem Rücken ist ein Zeichen von Herrschaft über einen Menschen, von Machtausübung, von Fremdbestimmtheit, von Unfreiheit – um mich innerhalb des Gewaltsystems Prostitution sexuell auszubeuten. Ich möchte es nicht mehr sehen. Die Vergangenheit kann ich nicht weglasern, aber das sichtbare Zeichen meiner Unfreiheit schon.
Es tut mir leid, meinen Körper mit dem Lasereinsatz nun wieder verletzen zu müssen. Wieder wegen diesem Zuhälter. 10 Jahre später. Aber das Tattoo muss weg. Ich vertraue meinem Körper – er wird das schaffen. Und meine Seele, die sich so derart über diese Tattoo-Entfernung freut und hochglücklich darüber ist, wird ihm die nötige Kraft und Energie geben. Jede einzelne Betroffene, die solch eine Markierung von ihrem Zuhälter hat, muss für sich selbst entscheiden, wie sie damit umgeht. Dass ich es weglasern lasse, heißt auch nicht, dass ich das jedem rate, es auch zu tun. Es kommt auf eine individuelle Abwägungsentscheidung an. Wenn man sich dafür entscheidet, dann sollte man sich spezialisierte Ärzte und Ärztinnen suchen. Ich lasse die Tattoo-Entfernung in einer Laserspezialklinik von einem Arzt vornehmen. Ihr könnt euch gerne bei mir melden, wenn ihr nähere Infos haben möchtet und auch überlegt, das Tattoo eures Zuhälters weglasern zu lassen.
Das Leben, das ich heute führe, fühlt sich oft an, als stünde ich auf einem Schlachtfeld. Schlachtfeld auf der Haut, Schlachtfeld im realen Leben. Es ist ein Kampf gegen ein Milliardengeschäft, gegen dessen Manipulationen und Verharmlosungen, das allermeist Mädchen und Frauen ausbeutet. Ich bin eine Zielscheibe vieler Profiteure, denn durch mein jahrelanges Leben in der Prostitution und im Milieu weiß ich, was sie tun und was wirklich abläuft – und das wissen sie und stören sich an dem, was ich sage und „aufdecke“ sowie an meiner Reichweite, die ich mittlerweile habe. Dass ich eine Zielscheibe bin, äußert sich verschieden, Beispiele sind zahlreich vorhanden und hören nicht auf, sich anzusammeln. Manchmal habe ich Angst um meine Sicherheit. Viele Menschen verstehen nicht, dass die Prostitution in weiten Teilen von einem kriminellen Milieu geprägt ist und meine Aufklärungsarbeit über und gegen dieses Milieu nicht unbedenklich im Sinne von Gefahren für mich ist.
2016 habe ich angefangen, diesen Blog zu schreiben. Nun haben wir 2022. 6 Jahre, die oft schwierig waren. Die Gesellschaft ist in großen Teilen blind in Bezug auf das Thema Prostitution und glaubt nicht selten lieber Mythen. Das Sehen und Verstehen und Umdenken in der Gesellschaft ist in den letzten Jahren allerdings schon viel besser geworden, nach und nach, aber es ist ein schwieriger Prozess. Wer möchte auch sehen, dass beispielsweise in der schönen Nürnberger Altstadt in einer öffentlichen Straße (Frauentormauer) Frauen täglich gedemütigt, erniedrigt, ausgebeutet und ihrer Menschenwürde beraubt werden? Es passt nicht zum Stadtbild, nicht zum gefeierten „Kulturviertel“ in Nürnberg, wenn jemand ausspricht, was da wirklich stattfindet und womit der Staat am Ende auch noch Geld verdient.
Ich fühle mich oft machtlos und allein, gegen solche Verharmlosungen anzugehen, aber ich bin weder machtlos noch alleine. Der Wind dreht sich. 2022 wird ein anstrengendes Jahr, aber auch ein Kämpferisches. Ein paar Sachen und Projekte bzgl. dieses Themas hier werden richtig toll – stay tuned :=)
Ich wünsche mir für dieses Jahr, dass sich noch mehr Menschen mit vielen anderen und mir auf dieses Schlachtfeld stellen und kämpfen. Für das Richtige. Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun, auch wenn es manchmal schwer und unbequem ist. Auszusprechen, was Prostitution in der Masse wirklich ist, wie gefährlich und gewaltbelastet dieses Milieu wirklich ist, ist nicht immer leicht und nicht selten mit Unannehmlichkeiten verbunden, mit Anfeindungen durch die Sexindustrie, die den Verlust ihres Profits fürchtet, und durch die Leute, die auf deren Lügen und Manipulationen hereinfallen.
Ich wünsche mir für dieses Jahr noch mehr Menschen, die dort Widerstand leisten, wo wir ihn benötigen. Die dort helfen zu verändern, wo sie es können. Sei das im privaten oder im beruflichen Alltag oder im ehrenamtlichen Engagement. Jede und jeder von uns kann etwas tun und aufklären. Ich wünsche mir Menschen, die aussprechen, dass Prostitution gefährlich, kriminalitäts- und gewaltbelastet ist, dass sie nur in einer sehr geringen Minderheit selbstbestimmt stattfindet, wobei die Zwänge vielfältig und auch subtil sein können.
Ich wünsche mir Menschen, die stark genug sind, diese Wahrheiten auszusprechen und auch zu verteidigen, anstatt zu sagen: hier ist alles ok.
Danke an dieser Stelle auch an Sabine Constabel und Sisters e.V., die mir die Last, wieder wegen meines Zuhälters leiden zu müssen und das 10 Jahre nach der Ausbeutung, wenigstens in finanzieller Hinsicht abnehmen und die Kosten der Tattoo-Entfernung übernehmen. Wenn ihr etwas Gutes tun möchtet, spendet gerne an Sisters e.V., bei denen ich auch Mitglied bin. Sie unterstützen viele betroffene Frauen und helfen mir auch, betroffene Frauen zu unterstützen, wenn diese sich an mich wenden. Es gibt wenige selbstlose Menschen, die einfach nur helfen, weil es ihnen vom Herzen her wichtig ist. Sabine ist so ein Mensch. Danke Sabine, dass du kontinuierlich und schon so lange für uns alle da bist und gemeinsam mit uns auf diesem Schlachtfeld stehst.
Es ist schön, um Menschen zu wissen, die mit und neben einem für diese gute Sache kämpfen.
Wichtige Info und ein paar Worte, die mir auf dem Herzen liegen:
Ich bitte davon abzusehen, mir (journalistische) Anfragen zu senden, die nur darauf aus sind, wieder hauptsächlich nur meine Geschichte im Fernsehen oder in der Zeitung oder sonst wo zu zeigen („Only-Story-Telling“).
1. Meine Geschichte (bzw. Ausschnitte davon) lief schon mehrere Male im TV sowie in diversen Zeitungen. Ich bin keine Schallplatte. Ich bin auch nicht an der Öffentlichkeit, um nur meine Geschichte jeden Monat hoch- und runter zu erzählen. Meine Geschichte gehört zu mir und ist mein Antrieb, aber sie ist nicht mehr meine ausschließliche Gegenwart. Meine Gegenwart ist meine Arbeit gegen ein menschenverachtendes und ausbeuterisches System und diese Arbeit beinhaltet weitaus mehr als ständig nur auf die „Repeat-Taste“ zu drücken.
2. Ein generelles Problem, das Betroffene auf nationaler und internationaler Ebene haben: sie werden oftmals allein auf ihre Geschichte reduziert. Als wären sie ihre Geschichte. Vor allem dann, wenn sie keine (akademische) Ausbildung haben. Sie sollten und dürfen aber nicht nur auf ihre Geschichte reduziert werden. Sie SIND NICHT ihre Geschichte, sondern sie HABEN eine Geschichte, wobei diese der Grund ist, weshalb sie aufklären möchten. Diesen großen Unterschied verstehen manche nicht oder wollen ihn nicht verstehen – aus Sensationslust vielleicht – und definieren Betroffene häufig allein anhand ihrer Geschichte. „Gib mir den Horror-Part deiner Geschichte, alles andere was du zu sagen hast ist schlechter für die Zuschauerquoten und Geldeinnahmen, brauchen wir also nicht.“ So ähnlich ist es leider oft. Ich arbeite nun schon Jahre in diesem Bereich, mit vielen Medien und Menschen, mit vielen Betroffenen, und die Wahrheit ist, sie werden nicht selten einer absolut unguten und auch gefährlichen Sensationslust ausgesetzt, was zu einer Retraumatisierung führen kann (ich kenne solche Geschichten mittlerweile).
Im Englischen gibt es ein bedeutendes Wort im Rahmen von Menschenhandel und Ausbeutung: „Re-Exploitation“ (die „Wieder-Ausbeutung“ nach der Ausbeutung). Im Hinblick auf das Engagement von Betroffenen, die über die Missstände nach ihrer Ausbeutungszeit aufklären möchten, bedeutet „Re-Exploitation“ das Phänomen und Problem, dass es (nicht wenige) Menschen gibt, die mittels der Geschichten und Aussagen und der Arbeit von Betroffenen, die den Mut fassen aufzuklären, versuchen sich selbst eine Karriere aufzubauen und/oder Geld zu machen und die Betroffenen, die nicht selten noch instabil und vulnerabel sind, dafür ausnutzen. Eine richtig miese Nummer. Leider fahren manchmal auch solche Menschen, die nach außen hin für die Rechte von Betroffenen kämpfen, diese Schiene. Das ist dann besonders traurig. Da ich mittlerweile auch viel international vernetzt bin, kann ich sagen: ein weltweit verbreitetes großes Problem.
Hier möchte ich auch gleich noch eine Sache ansprechen, die gerade dazu passt: meine Gedanken, Analysen und Lösungsansätze, über die ich spreche, aber auch hier kostenlos für jedermann zum Lesen niederschreibe, beruhen auf über 6 Jahren eines Kreislaufs aus Missbrauch und Gewalt, in dem ich war, und jahrelanger, oft nervenaufreibender, Aufarbeitung danach. Wer meine Inhalte einfach nimmt und als seine Inhalte deklariert, verletzt nicht nur das Urheberrecht, was im Übrigen eine Straftat ist, sondern es ist einfach nur respektlos. Dieses Problem kenne ich von mehreren Betroffenen, daher: es ist normalerweise das Selbstverständlichste der Welt fremden Content als solchen zu kennzeichnen. Macht das doch bitte anstatt zu plagiieren. Betroffene von Ausbeutung haben genug Ausbeutung erlebt, man muss ihnen nicht auch noch ihr geistiges Eigentum stehlen, das sie aus der Erfahrung ihres Missbrauchs geschaffen haben. Jeder, der das tut, missbraucht sie in einer ganz üblen, anderen, Form ein weiteres Mal. Jeder, der das tut, sollte auch nicht über Ausbeutung aufklären, denn er beutet die bereits Ausgebeuteten selbst in einer bestimmten Form aus. Das muss ich leider so deutlich sagen, denn ich habe die Nase voll von Menschen, die auf dem Rücken von Betroffenen und deren Leid eine Karriere und/oder „Fame“ anstreben. Es ist so dermaßen geschmacklos und unterirdisch.
Nun weiter: Betroffene haben vor allem eines aufgrund ihrer eigenen Erfahrung: Wissen. Wissen, wo die Probleme liegen, was verbessert werden muss, wo man anpacken kann, wie man anderen am besten helfen kann, usw.
Als Betroffene von Menschenhandel und (Zwangs-)Prostitution habe ich vor meinem Jurastudium auch über 6 Jahre das Leben im Rotlicht und dessen Akteure „studiert“. Ich habe viel zu erzählen jenseits des „Only-Story-Telling“ und tue das auch. Ich möchte helfen, anderen zu ersparen, was mir selbst passiert ist. Das kann ich am effektivsten dadurch, dass ich mein Wissen weitergebe, das ich im Laufe meiner Zeit im Rotlicht und nachfolgender jahrelanger Reflexion und Aufarbeitung erlangt habe, und nun als Juristin (Univ.) noch auf ganz anderer Ebene einordnen kann. Nur ein Bruchteil von dem, was ich mache, bekommt die Öffentlichkeit auch mit. Ich beschäftige mich mit diversen Problemen, Analysen und Lösungsansätzen und gebe diese weiter.
Mit welchen Anfragen könnt ihr euch also an mich wenden? Ich habe zwar gerade sehr wenig Zeit, da ich an ein paar wichtigen Baustellen arbeite, und entschuldige mich für jede (bisher) unbeantwortete E-Mail, aber grundsätzlich könnt ihr euch melden, wenn es um folgende Dinge geht, für die ich aufgeschlossen und in denen ich erfahren bin und die ich auch die letzten Jahre oft gemacht habe, weil genau das etwas bringt und dabei hilft langfristig zu einer Veränderung beizutragen:
1. Bildungsangebote, Schulungen und Fachvorträge zum Thema Menschenhandel und (Zwangs-)Prostitution für Fachkräfte und Ehrenamtliche aus allen Bereichen (ich habe beispielsweise Mitte November einen halben Tag lang Fachkräfte aus den Bereichen Jugendarbeit, Sozialarbeit und Polizei zum Thema „Loverboys“ geschult: Prävention, Identifikation von Opfern und Strafverfolgung, psycho(trauma)logische Mechanismen, Täterbindungen, usw.)
2. Bildungsangebote speziell auch für Kinder, Jugendliche und Heranwachsende – Prävention, Sensibilisierung je nach Altersklasse und psychischer Konstitution, Aufklärung in Schulen, Kinder- Jugend- und Sozialeinrichtungen für Kinder und Jugendliche (hier ein Text von mir darüber, den ich nach einer meiner Aufklärungsveranstaltungen in diesem Bereich geschrieben habe: https://sandranorak.com/2021/03/25/aufklarungsarbeit-in-schulen/)
3. Rechtliche Fragen zu den Themen Prostitution, Zwangsprostitution und Menschenhandel („Loverboys“)
4. Fragen zum Nordischen Modell
5. Beratung im Hinblick auf das gesamte Themengebiet
Bild von mir: Eingang zur Frauentormauer, Nürnberg, 09.12.2021
Heute ist Tag der Menschenrechte und Gedenktag zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Ich bin momentan sehr still hier auf Social Media. Nicht weil ich inaktiv bin, sondern weil ich soviel Arbeit habe, dass mir keine Zeit für Social Media bleibt. Auch für die Menschenrechte vieler in Afghanistan nach dem Einmarsch der Taliban habe ich die letzten 3 Monate viel gearbeitet, Details möchte ich zum Schutz der Arbeit und der Betroffenen aber nicht schreiben.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren„, lautet der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. In der Prostitution kann man davon nichts sehen.
Gestern war ich in Nürnberg für ein Projekt zum Thema. Unter anderem war ich an der Frauentormauer, einem sehr alten Rotlichtviertel. Wenn man als Außenstehender Menschen aus dem Milieu fragt, ob es in deren Milieu-Gegend Menschenhandel, Zuhälterei, Ausbeutung und Gewalt gibt, so antworten nahezu alle mit „nein“.
Das Milieu versteht es, nach außen hin ein sauberes, gewalt- und zwangsloses Bild zu zeichnen. Ein Bild, das keinerlei Menschenrechtsverletzungen erkennen lässt.
Glamour, blinkende Lichter, ansprechende Werbung, freundliche Gesichter, die ewige Propaganda der willigen Prostituierten, Freiwilligkeit überall, „bei uns gibt es keinen Menschenhandel und keine Zuhälterei“. Alles erfunden. Alles Märchen. Alles Mittelalter. Hier doch nicht. Alles von den bösen Medien erfunden.
Die Leute aus dem Milieu können sehr überzeugend sein, wenn es darum geht, dieses scheinbar saubere Image zu verbreiten. Man nehme als Beispiel nur den Bordellbetreiber Jürgen Rudloff, der jahrelang in Talkshows saß und das Bild der sauberen und ausschließlich freiwilligen Prostitution in seinem Bordell propagierte. Ist doch nur ein netter älterer Mann, der Prostituierten mit seinem Wellness-Tempel ein besseres Leben ermöglicht? Herr Rudloff konnte sehr gut reden und die Dinge schön aussehen lassen – und das können die meisten Leute im Milieu. Denn: es ist ihr Kapital. Menschenhandel und Zuhälterei? Gibt es hier nicht. Dann wurde Jürgen Rudloff Jahre später nach aufwendigen Ermittlungen und einem langen Prozess u.a. wegen Beihilfe zum Menschenhandel verurteilt, weil er mit Menschenhändlern kooperierte, damit er sein Bordell mit Frauen vollbekommt.
Auch die Frauentormauer wird oft nach außen hin als ein toller Platz zum Arbeiten mit selbstbestimmten Prostituierten verkauft.
Menschen wie ich, die das Milieu kennen, die kennen auch die Fassade, die das Milieu und alle seine dazugehörigen Akteure (und es sind viele) wegen der hohen Summen an Profit aufrechtzuerhalten versucht. Für Außenstehende ist es oft schwer zu sehen, was wirklich abläuft.
Anhand von Freierberichten können aber auch Außenstehende sehen, was jenseits der „Happy Sexwork“-Propaganda geschieht. Hier nur mal 3 Zitate aus Freierforen über Freier-Besuche an der Frauentormauer:
„Schlimm sind diese ganzen Zuhältertypen, die sich gegenüber von den Schaufenstern postieren und gaffen. Der ein oder andere Typ steht noch an der selben Stelle, nachdem ich ein Mädel gefickt habe und mich wieder vom Acker mache.“ https://huren-test-forum.lusthaus.cc/showthread.php?t=201689&page=12
„Sie zieht ihren Slip aus und ist überall blutverschmiert, sie hat wohl heftig ihre Tage. Außerdem kommen jetzt etliche üble blaue Flecken an Po und vor allem den Schenkelinnenseiten zum Vorschein. Bäh! Da hat sie irgendeiner ziemlich übel misshandelt… Als ich zum Eindringen ihre Beine etwas spreizen und leicht nach hinten drücken will, ich bin sicher nicht grob dabei, protestiert sie und drückt mich weg. Ich sehe trotzdem kurz das Ausmaß der Sauerei, die sie verbergen wollte. Mir vergeht es fast, aber ich bin noch ziemlich geil vom Anwichsen. Bitte um Säuberung, denn so geht das ja wirklich gar nicht. Die Fortsetzung bzw. den Beginn des Aktes will ich dann auch in der Doggy, um es schnell mit wenig Körperkontakt abzuschliessen. Doch sie nimmt dabei eine Körperhaltung ein, in der man(n) praktisch nicht in sie eindringen kann. Meine Versuche ihr klar zu machen, dass das so nicht geht, werden mit: „Gel?“ beantwortet. Meinetwegen… Das wird jetzt auf meinem Gummi aufgetragen, aber nicht an ihrer Muschi. Wieder versuche ich vergeblich vorsichtig in sie einzudringen, doch sie zieht immer weg, bevor ich sie überhaupt berühre... Verlange ziemlich aufgebracht 20 Euro zurück, denn Blasen hat sie noch erfüllt (= 30 Euro), Ficken erfolgreich verhindert. Sie dann ziemlich eingeschüchtert, weil ich wirklich richtig sauer wurde…Dem Bodybuilder Security Typ am Eingangskabuff interessiert das Ganze gar nicht, lässt den völlig kalt. Ich hätte den auch nicht angesprochen (wozu auch?), das hat die blöde Kuh gemacht, die sich die Bezahlungskürzung außerhalb des Zimmers nicht mehr gefallen lassen wollte – finde, ich war dabei echt noch fair für das was sie da abgeliefert hat und ohne dass ich ein Finish hatte. Parteiisch war der Typ auch nicht, was mich eher verwunderte. Glaube, dass sie dann erst recht verärgert war, dass ich mit ihm wirklich null Problem hatte. Er meinte nach meiner Schilderung, was überhaupt los ist, nur: „Blutverschmiert? Ist ja ne Sauerei. Aber die ist vom Fenster, keine Stammbelegschaft, da kann ich nichts machen. Macht das untereinander aus, aber bitte nicht hier im Eingangsbereich…„. https://huren-test-forum.lusthaus.cc/showthread.php?t=172842
Ich könnte fortfahren, aber diese 3 Zitate genügen, um zu verdeutlichen, was ich meine:
Das Milieu schafft einen schönen Schein nach außen hin, um seinen Milliarden-Profit zu wahren (auch die sich prostituierenden Frauen, die in diesem System feststecken, müssen beim Erhalt des schönen Scheins mitmachen – wohl keine Frau würde jemandem erzählen, was da wirklich abläuft, solange sie noch im Milieu ist), aber die Realität ist eine ganz andere. Die Realität ist, dass Ausbeutung, Zuhälterei, Menschenhandel und Gewalt auf der Tagesordnung stehen – und damit schwere Menschenrechtsverletzungen an den Frauen. Es ist eine Parallelwelt, in der alle Beteiligten, die von der Prostitution der Frauen profitieren, Rechte haben, nur die Frauen selbst haben keine Rechte. Daran ändern auch das ProstG sowie das ProstSchG nichts, denn das Milieu hat eigene Gesetze.
Das linke Schild ist das „Eingangsschild“ bei der Frauentormauer. Das rechte Schild ist meine Kreation. Das ist noch viel Arbeit, bis dorthin, aber wir werden es schaffen.
„Menschenhändler arbeiten vorsichtig und methodisch daran, das Vertrauen ihrer Opfer zu gewinnen, eine Abhängigkeit zu erzeugen und subtil die Idee zu fördern, dass es normal, akzeptabel und notwendig sei, sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen. Letzten Endes hat erfolgreiches „Grooming“ zur Folge, dass vulnerable Menschen in ihre eigene Ausbeutung und in ihren eigenen Missbrauch einwilligen – und zwar in dem Glauben, es sei ihre eigene selbstbestimmte Wahl gewesen.“
Kurz und knapp. Besser kann man es nicht beschreiben. Timea Nagy ist großartig: