Frauen werden oft gebrandmarkt von ihren Menschenhändlern und Zuhältern, als Eigentum markiert. Ich habe diese „Praxis“ ständig gesehen. Hier ist mein Text dazu, den ich am sog. „Internationalen Hurentag“ geschrieben habe (sowie weiter unten noch ein Text von mir darüber, anlässlich des europäischen Tages gegen Menschenhandel am 18.10.2020):
Heute ist „Internationaler Hurentag“ – und es ist in den Medien heute sowie auch die letzte Zeit einiges an „Pro-Sexarbeit“ und Verharmlosungen zu lesen. Ich finde das traurig, deshalb schreibe ich hier nun ein paar persönliche Zeilen, um an die vielen Frauen da draußen zu erinnern, die in der Prostitution immense Ausmaße an Leid und (sexueller) Gewalt erleben.
Ich war lange in der Prostitution. Jahre.
Prostitution ist oft wie Sklaverei.
Ich bin gezeichnet. Bis heute. Über dieses Thema spreche ich nicht so gerne.
Das Tattoo, den Eigentumsstempel meines Zuhälters, der mich als sein Eigentum markieren sollte, trage ich bis heute auf dem Rücken. Es ist ein Drache, ein keltisches Kreuz und ein Totenkopf. Mein Zuhälter bestimmte das Tattoo, er war beim Stechen mit dabei, um die Kontrolle darüber zu haben. Üblich ist es auch oft, dass die Betroffenen einen Barcode oder den Namen des Zuhälters als Eigentumsstempel tätowiert bekommen.
Der Drache war sein „Markenzeichen“. Schon als ich meinen Zuhälter im Chat damals kennenlernte, war der “Drache“ Inhalt seines Chat-Namens. Ich kann mich erinnern wie er zu dem Tätowierer am Ende noch grinsend sagte, dass er den Totenkopf noch in die Mitte einfügen sollte. Der Tätowierer war scheinbar eingeweiht, ansonsten hätte er mich wohl auch mal gefragt, was ich eigentlich auf meinem Rücken haben möchte, was er aber erst gar nicht tat. Er stach mir auf den Rücken, was mein Zuhälter dirigierte.
Ein Eigentumsstempel, ob in Barcodes, Namen oder Zeichen ist im Milieu an der Tagesordnung. Er sagt:
„Du gehörst mir, du bist mein Eigentum, für immer.“
Als ich nach meinem Ausstieg an die Uni kam und es Sommer war, da war es mir peinlich in T-Shirts rumzulaufen, die zum Teil rückenfrei waren. Als meine Uni Kolleginnen das Tattoo zum ersten Mal sahen, schauten sie mich mit großen Augen an und fragten mich, was ich denn da auf dem Rücken hätte. Das würde gar nicht zu mir passen.
Ja, sie haben recht. Es ist offensichtlich, dass dieses Tattoo nicht zu mir passt. Die ersten Male war ich wie betäubt auf deren Frage. Was sollte ich da antworten? Ich dachte mir also eine Geschichte aus mit dem Tattoo, um meine Vergangenheit nicht ausbreiten zu müssen. Ich habe es dann aber letztlich meist vermieden, solche T-Shirts anzuziehen, wo man das Tattoo sehen kann. Ich habe es versteckt.
Früher hatte ich vor, das Tattoo so zu lassen, wie es ist. Als eine Art Zeichen und „Überbleibsel“, das mich immer daran erinnert, wo ich mal war und was ich in diesem Leben und in diesem System alles gesehen habe. Ein Zeichen, das mich immer wieder daran erinnert, warum ich nicht aufhören kann, gegen dieses System zu kämpfen, auch wenn ich manchmal sehr müde bin ob dieses Themas. Dennoch bleibt immer wieder dieses Gefühl der Fremdbestimmtheit, wenn ich das Tattoo im Spiegel sehe.
Ich werde mir das Tattoo nicht wegmachen, aber überstechen lassen und ihm eine selbstbestimmte Bedeutung geben. Eine Bedeutung, dass mein Leben weitergegangen ist, dass der Drache mich nicht zerstört hat und dass ich ihm nicht mehr gehöre. Dass er der Auslöser ist, warum ich den Rest meines Lebens den Rechten und der Verteidigung von Betroffenen widmen werde.
Und dann werde ich gegen euch vorgehen, ihr Zuhälter und Menschenhändler da draußen.
Nur deshalb habe ich angefangen Jura zu studieren. Nur deshalb.
Ich kenne euch, ich weiß wie ihr tickt, ich weiß, wie ihr „arbeitet“, ich kenne eure Methoden, eure Verflechtungen, eure Tricks. Ich weiß, wie schwer es ist, Menschenhandel und organisiertes Verbrechen gerichtsfest zu machen, vor allem bei den jetzt bestehenden Gesetzen. Mein „Loverboy“ war ein „Altlude“. Einer von denen, die sich auskannten mit den „Gesetzen des Milieus“, die ich selbst auf einem harten Weg lernen musste, um dort existieren zu dürfen, um nicht geschlagen zu werden, um „heile“ zu bleiben. Ich hatte irgendwann im Milieu gelernt, zu überleben. Ich hatte im Milieu gelernt, mit Leuten der organisierten Kriminalität „umzugehen“, mich in ihrem Beisein so zu verhalten, dass ich unauffällig war, nicht störend war, „milieukonform“ war. Eben so, wie sich die Prostituierten als Beiwerk der Zuhälter verhalten mussten, um nicht die Faust oder die Knarre an den Kopf zu kriegen.
Ich hatte letztlich Einsicht in sehr vieles. Ich war zu 100 % loyal, nachdem ich einmal bedroht wurde als „Schmieralte“ (das ist eine Prostituierte, die zur Polizei geht und anzeigt), zog ich danach nicht mehr in Betracht, mich der Polizei oder jemand anderem anzuvertrauen. Denn einem wird im Laufe des Lebens im Milieu klar, dass eine „Verräterin“ kein einfaches Leben mehr haben wird und dass man sie überall finden kann. Manche drohen mit sowas und machen ihre Drohungen nicht wahr. Sie dienen allein der Einschüchterung, damit die Frau besser „funktioniert“. Manche drohen damit und machen ihre Drohungen wahr. Wenn man in dieser Situation ist, will man nicht herausfinden, zu welcher Kategorie der eigene Zuhälter und seine Verbündeten gehören, ob sie mit der Drohung „nur“ einschüchtern oder ob sie ihre Drohung im Ernstfall wahr machen. Man bleibt loyal und sagt nichts, um nichts zu riskieren.
Niemand von diesen Luden und Menschenhändlern hätte wohl jemals gedacht, dass ich irgendwann meinen Mund aufmache und über all das spreche, denn ich war die kleine, eingeschüchterte junge Blondine, die schon still war, wenn man nur die Stimme erhoben hat, die schon anfing vor Angst zu zittern und der Tränen in die Augen schossen und die „bitte nicht“ flehte, wenn man nur den Finger in die Luft streckte und böse guckte. So leicht einschüchterbar war ich aufgrund der jahrelangen psychischen Unterdrückung durch meine Mutter geworden. Ein einfaches Abendmahl für Zuhälter und Menschenhändler.
Aber heute bin ich jemand anderes. Jemand ganz anderes. Die „Schule“, die ich im Milieu durchlaufen habe, die war knallhart. Sowie auch der Kampf zurück ins Leben. All das hat mich mit der Zeit „hart“ gemacht, hat mich „zäh“ gemacht. Hat mir mein Schicksal in die Hand gelegt.
Und ich schäme mich nicht mehr, das Tattoo zu zeigen und seine wahre Bedeutung zu erzählen:
Ich wurde als Eigentum gebrandmarkt, als eine Sache. Und ich wurde auch lange so behandelt.
Wo bleiben die Medienberichte über die Geschichten solcher Frauen? Es gibt viele solcher Frauen, sehr viele, man muss sich nur an die entsprechenden Vereine und Organisationen wenden, die Betroffene betreuen oder mit ihnen in Kontakt stehen. Warum macht man sich nicht die Mühe diese Betroffenen zu befragen und ihre Geschichten zu verbreiten? Will man das Leid vielleicht einfach nicht sehen?
Warum will dieses Märchen der vielen „Happy Sexworkerinnen“ so penetrant aufrecht erhalten werden?
Ich habe ca. 2 Jahre in einem Bordell in einem Kellerzimmer gelebt. Mein Zuhälter hatte mich in dieses Bordell gebracht, um für ihn Geld zu verdienen. Eine Gefängniszelle ist schöner als dieses Kellerzimmer, wo ich lebte. Ich hatte nicht mal ein Fenster da drin, es war nur ein Schacht. Auch ich war zum Schluss „freiwillig“ in der Prostitution, um mich nach meiner Ausbeutung aus diesem ganzen Schlamassel „rauszuarbeiten“ nach abgebrochener Schule, ohne Wohnung, ohne alles. Bevor ich mein Geld aus der Prostitution für mich behalten konnte war alles, was ich besaß, „Arbeitskleidung“ in Plastiktüten. Nach Jahren Vollzeitarbeit in der Prostitution. Alles, was ich hatte, war Kleidung, um sich zu prostituieren.
Als ich mich von meinem Zuhälter immer weiter lösen konnte, wollte ich aussteigen, wusste aber nicht wie, weil ich in diesem Bordell festsaß. Sozialarbeiter kamen da nicht rein. Ich schämte mich zudem und hatte Angst, Hilfe zu suchen. Das erste, was ich mir dann also nach meiner Ausbeutung angeschafft bzw. finanziert habe per Monatsraten, war ein Auto, um überhaupt erstmal dieses Bordell, wo ich zuvor ca. 2 Jahre wohnte und mein Zuhälter zum Geld kassieren hinkam, verlassen zu können, wegfahren zu können, mobil zu sein, mich bewegen zu können, wieder Selbstbestimmtheit erlangen zu können. Der zweite Schritt war eine Wohnung. Der dritte Schritt war: Ausstieg. Traumatisiert, mit abgebrochener Schule und 6 Jahren Lücke im Lebenslauf war der Ausstieg verdammt schwer.
Ich war Deutsche. Ausländische Frauen kommen oftmals nach ihrer Ausbeutung, wenn sie denn diese überhaupt verlassen können, nicht mal zu Schritt eins oder zwei. Wie sollen sie ohne Hilfe zu Schritt drei gelangen? Wenn sie dann für sehr lange Zeit oder für immer in der Prostitution bleiben, nennt man das „freiwillig“?
Hurra hurra, „Happy Sexwork“?
Wie wäre es mal, wenn die Medien endlich mal ein realistisches Bild von dem zeichnen würden, was da in der Prostitution größtenteils passiert, anstatt immer wieder den gleichen Stimmen eine Plattform zu geben, die „happy sexwork“ schreien und Prostitution verharmlosen, aber absolut in der Minderheit sind?
Eure verzerrte Mediendarstellung der Realität in der Prostitution ist pures Gift für die (hundert)tausenden von Frauen, die an der Prostitution zugrunde gehen!
Weiterer Text anlässlich des europäischen Tages gegen Menschenhandel am Sonntag, den 18.10.2020 – ein längerer Text, der mir aber sehr wichtig ist.
Ich möchte mit diesem Beitrag vertiefter über Eigentums-Tätowierungen von Zuhältern aufklären und schreibe ihn, damit Betroffene besser identifiziert werden können. Sie können sich oftmals lange nicht äußern, unterliegen verschiedenen Abhängigkeiten und Zwängen. Es gibt aber äußere Merkmale, an denen man erkennen kann, dass etwas nicht in Ordnung ist, etwas doch nicht so selbstbestimmt ist, wie die Frauen es meist vorgeben. Ein Merkmal davon sind diese Eigentums-Tattoos. Und die sah ich sehr oft auch bei anderen prostituierten Frauen.


(Siehe zu meinem Tattoo vor allem weiter unten noch die im Text fettgedruckten Stellen)
Ich habe so gut wie nichts mehr von damals aus der Prostitution bei oder an mir, was mich heute noch begleitet. Als ich nach meinem Ausstieg in eine neue Stadt gezogen bin, habe ich außer ein paar wichtige Dinge alles weggeschmissen. Prostitutionsklamotten, Prostitutionsschuhe, einfach alles. In dieser Hinsicht keine Spur mehr davon, dass ich je in der Prostitution war. Ich wollte alles vergessen und hinter mir lassen. Ein neues Leben bitte. Nur eine Sache habe ich zwangsläufig behalten, die (noch) da ist: Das Tattoo auf meinem Rücken.
Ich kam nie so richtig zur Ruhe nach der Prostitution, um mich um wichtige Dinge meiner Vergangenheit zu kümmern, wie z.B. um das Tattoo. Ich hatte nach meinem Ausstieg eine 6-Tage Woche, manchmal auch 7 Tage (inkl. Nachtdienst bei den Pferden), gesundheitliche Probleme, nebenbei Abitur zu Ende machen, umziehen, studieren, nochmal umziehen, wieder umziehen. Ich fühle mich ein bisschen wie eine Nomadin. Seit Jahren von einem Ort zum anderen, von einem Bordell ins andere, von einer Wohnung in die Nächste.
Nachgedacht und reflektiert habe ich in den letzten Jahren jedenfalls viel. Sehr viel. Das Tattoo bzw. die Eigentums-Tattoos im Generellen sind so eine Sache. Die Geschichte meines Rücken-Tattoos, das mein Zuhälter mir stechen ließ, um mich als sein Eigentum zu markieren, habe ich schon mehrfach erzählt. Einen Teil kann man hier nachlesen: https://sandranorak.com/tattoos-als-eigentumsstempel/
Mir geht es nun in diesem Beitrag umfassender um die Bedeutung solcher (auch meines) Tattoos und wie man sie erkennen kann.
Stellt euch vor, ihr würdet in eines der Bordelle kommen, in dem ich war, weil ihr in diesem Bereich arbeitet (aufsuchende Arbeit, Kontrollen, etc.). Die Frauen in den Bordellen (so auch ich damals) müssen ja immer halbnackt in irgendwelchen Dessous in den Bordellen rumlaufen, manchmal ganz nackt, das Tattoo war also durchgehend sichtbar für alle, die mich gesehen haben, auch für die Polizei, die während der „Arbeitszeiten“ öfter in eines der Bordelle kam und ihre Strichliste machte, wer von den Frauen alles da war. Stellt euch also vor, ihr kommt in das Bordell, ihr seht mich. Ich lächle euch an, ich sage aber nichts. Wenn ihr mich fragt, erzähle ich euch als Nicht-Milieu-Person die typische Story davon, dass es mir gut geht, dass ich diesen Job machen will. Und dann gehe ich weg, drehe euch den Rücken zu und ihr seht dieses große und markante Tattoo, was sich über meinen Rücken zieht.
Was würdet ihr euch denken? Unabhängig davon, das Tattoo komplett zu entschlüsseln, was ich weiter unten gleich tun werde. Es geht darum, ein Gespür, ein Gefühl, für solche Tätowierungen zu entwickeln, sie zu deuten, sie zu erkennen. Wer seinen Blick schult, der kann bei solchen Tattoos schnell erkennen, um was es sich da handelt und damit auch, in welcher Lage sich die Frau möglicherweise gerade befindet – unabhängig von ihrer Aussage.
Erkennbar auf meinem Rücken ist ein Drache, ein keltisches Kreuz und ein Totenkopf.
Die Bedeutung:
Das mit dem Drachen hatte ich schon öfter erklärt. Damals als ich meinen Zuhälter im Chat kennenlernte, war der „Drache“ Teil seines Chatnamens, sein Kennzeichen. Manche fragten mich nun noch nach der ganzen Bedeutung des Tattoos an sich und möchten wissen, was das Kreuz für sich genommen bedeutet, warum es da ist.
Zugegebenermaßen wusste ich das selbst länger nicht. Es war halt ein Kreuz, was man mir da zusätzlich zum Drachen auf den Rücken stach, dachte ich. Falsch gedacht. Denn das Kreuz hat es in sich. Als ich es dann verstand wurde mir klar: nur mit dem keltischen Kreuz ergibt das Tattoo auch nach außen hin den Sinn, den mein Zuhälter damit erreichen wollte, um mich sichtbar als sein Eigentum zu markieren, denn der Drache war zwar sein persönliches „Kennzeichen“, aber dass ich „im Eigentum des Drachen“ stehe, wird erst durch das Keltenkreuz so richtig deutlich gemacht:
„Ein Keltenkreuz, Hochkreuz oder irisches Kreuz ist ein Element der mittelalterlichen sakralen Kunst im keltischen Kulturraum der britischen Inseln und Irlands… Die ursprünglichen irischen Hochkreuze fanden sich nicht auf Grabstätten, sondern markierten dekorativ ein besonderes Gebiet oder heiliges Land.“ – Wikipedia zu „Keltenkreuz“ –
Ich war in dem Fall das „besondere Gebiet“, das „heilige Land“, das markiert werden sollte.
Wenn man also als Außenstehender mein Tattoo sieht und sich damit beschäftigt und nachliest, was das für ein Kreuz ist, welche Bedeutung es hat, kommt man schnell darauf, dass ich da einen Eigentumsstempel auf dem Rücken trage.
Was man genau sieht: Der Drache hält das keltische Kreuz mit seiner Hand auf der einen Seite fest – das sollte wahrscheinlich symbolischen Charakter haben: „Es gehört mir“, also „das keltische Kreuz gehört mir“, also „das „Gebiet“ gehört mir“. Also: Ich gehöre ihm, dem Drachen, also meinem Zuhälter.
Seine Passion zum Mittelalter (Keltenkreuz, irische Kunst, Kriegertruppen…) wurde durch seine Online-Spiele deutlich, die Kriegsstrategiespiele waren, wie ich schon oft erzählt habe. Ich hatte auch schon öfter erzählt, dass er sagte, ein Fremdenlegionär gewesen zu sein. Ob er es wirklich war, keine Ahnung. Jedenfalls hat er auch mit mir strategisch Krieg gespielt: erst online und dann im echten Leben.
Was der Totenkopf auf dem Tattoo bedeuten soll? Das kann sich wohl jeder denken.
Was für einen psychologischen „Schaden“ solch ein Tattoo seitens der Zuhälter bei „ihren“ Frauen bewusst anrichten soll und anrichtet, bleibt nach außen hin oft verdeckt. Das, was ich da auf dem Rücken habe und was vielen Betroffenen in verschiedenster Weise da auf die Haut tätowiert wird, ist nicht nur ein Tattoo. Es hat eine Bedeutung. Tief in die Seele gebrannt, auch wenn es „nur“ auf der Haut ist.
Krieg online, Krieg im Leben, Krieg auf der Haut, Krieg im Kopf.
Manipuliert, getäuscht, gebrochen. Gehirnwäsche at its best und bei einer instabilen jungen Frau wie mir damals nicht sonderlich schwer für jemanden, der durch und durch – online und auch ganz besonders im realen Leben – ein raffinierter Stratege war.
War ich selbst schuld an allem, was man besonders in diesen „Loverboy“-Fällen ja ständig hört? War ich schuld an meiner eigenen Ausbeutung? Eine Frage, die ich lange Zeit mit „Ja“ beantwortet habe. Dieses „Ja“ verursachte auch lange ein großes Schamgefühl in mir und hielt mich davon ab, Hilfe zu suchen, um schneller aus der Prostitution aussteigen zu können, anstatt noch weiter darin zu verharren und mir den Ausstieg Stück für Stück allein zu erarbeiten, was nach einem Schulabbruch, jahrelanger Lücke im Lebenslauf, zunächst ohne Wohnung, nur Milieukontakten und ständigen Selbstzweifeln, Angstzuständen, Atemnot und Panikattacken schwer war. Dieses „Ja“ begleitete mich auch noch eine ganze Weile nach meinem Ausstieg bis sich meine Antwort auf diese Frage änderte.
Wer die Scham und die Schuld in Richtung der Betroffenen umdreht, lässt sie allein und stellt sich vor die Ausbeuter. Frauen in der Prostitution stehen häufig unter schweren Abhängigkeiten und Zwängen zu extrem manipulativen und berechnenden Menschen, sind innerlich gefangen genommen. Das Tattoo auf meinem Rücken spricht das lautlos aus.
Ich wünsche mir, dass Betroffene als solche erkannt werden, auch wenn sie sich selbst oft noch nicht als solche erkennen können. Ich war in legalen Bordellen, im legalen Escort, auf legalen Seiten inseriert. Ich war angemeldet und ich habe sogar eine gewisse Summe an Steuern für den Zeitraum meiner kompletten Ausbeutung (nach)gezahlt. Warum? Na weil die Kontrollen und das Finanzamt dich in der Prostitution sehen und zur Kasse bittet. Wenn du nicht noch mehr Probleme willst, als du eh schon hast (Zuhälter, Gesundheit, Schwierigkeiten beim Ausstieg, etc…), zahlst du eben einen Beitrag. Also: von Freiern gefickt werden für den Staat für deinen Ausbeutungszeitraum.
Legal heißt nicht, dass die Frauen dort nicht ausgebeutet werden. Man sieht es eben nicht. Und das ist ein großes Problem (wobei: für die Profiteure ist es natürlich gut, weil sie unbeschadet massenhaft Geld mit der Ausbeutung anderer verdienen können). Viele sagen: ich sehe keine Ausbeutung, die Frauen berichten nicht über Ausbeutung, also gibt es keine Ausbeutung.
Das ist eine falsche Schlussfolgerung. Solche Aussagen muss man hinterfragen, sich mit diesen Mechanismen und der Psychologie dahinter beschäftigen. Das Rotlichtmilieu lebt davon, dass die meisten Frauen sagen, alles ist ok und sie gehen für sich selbst anschaffen, selbst dann, wenn sie ständig misshandelt werden. Zuhälter und Menschenhändler können ganz besonders gut die legale Umgebung zur Ausbeutung nutzen, so Europol. Dessen muss man sich bewusst sein und nicht auf den Schein der Legalität reinfallen.
Wenn man in ein Bordell geht, wird man als außenstehende Person meist die „heile Welt des Rotlichts“ sehen. Aber meine Erfahrungen sagen mir: gar nichts ist da die „heile Welt des Rotlichts“. Nach außen hin zwar meist immer, nach innen hin ganz und gar nicht. Der Schein trügt für Außenstehende und wird aufrecht erhalten. Er muss es auch. Sonst wäre die Ausbeutung von Menschen in der Prostitution kein so lukratives und milliardenschweres Geschäft für Kriminelle, wie es das nun mal ist. Auch in Deutschland. Vor allem in Deutschland. Es sieht aus, als sei alles ok, aber das ist es so gut wie nirgends.
Ich empfehle daher jedem, der in dem Bereich arbeitet und öfter in Bordelle geht (aufsuchende Arbeit, etc.):
schaut genau hin. Ganz genau. Hierunter fällt auch: hat die Frau ein Tattoo? Und wenn ja, was für eins? Manchmal sind die Eigentums-Tattoos auch nur ganz Kleine, oft mit einem Buchstaben oder Namen versehen. Oder markante Zeichen, Symbole, Tiere, Barcodes. Versucht, ihre Bedeutung zu lesen. Googelt auch, wenn ihr bestimmte Zeichen oder Symbole oder Anderes seht, was auffällig aussieht, ihr es aber nicht ganz versteht. Versucht, das Tattoo zu entschlüsseln. Die Eigentums-Tattoos können unterschiedlich aussehen, aber eine Sache haben sie meist alle gemeinsam:
sie sehen sehr auffällig aus und tragen, wenn man sie genau ansieht und entschlüsselt, die Message: „Dieser Mensch gehört mir“ in sich. Ich habe viele solche Tattoos gesehen und sie waren eigentlich immer erkennbar, wenn man einen geschulten Blick dafür entwickelt, weil es keine Tattoos sind, die man sich mal eben so als (meist junge) Frau auf die Haut stechen lässt. Eigentums-Tattoos sind speziell in ihrer Erscheinung. Sehr viele prostituierte Frauen sind tätowiert. Oftmals auch mehrfach, wenn sie noch eigene Tattoos haben, sodass man u.U. das Eigentums-Tattoo unter den anderen Tattoos nicht gleich sieht. Aber „Markierungen“ von Zuhältern sehen anders aus als „normale“ Tattoos, sind auffällig, sonst hätten sie auch nach außen hin nicht die Wirkung im Milieu, die sie haben sollen.
Ein Beispiel: Andrea K. wurde dieses Jahr mit einem Betonklotz in die Weser geschmissen und ermordet. Sie war in der Prostitution. Auch sie hatte ein auffälliges Tattoo. Ein Kreuz und ein Buchstabe. Ein kleines Tattoo, am Hals. Ihr Ex-Freund war Zuhälter. Neben ihm wurde ein weiterer Zuhälter verhaftet. War ihr Tattoo ein Eigentumsstempel? Ich weiß es nicht, aber so wie es aussieht, könnte es sehr gut der Fall sein. Würde ich sowas jetzt an einer prostituierten Frau sehen, würden bei mir alle Alarmglocken anfangen zu klingeln – ein Bild seht ihr im Link: https://www.n-tv.de/…/Mordfall-Andrea-K-Zuhaelter…
Seid sensibel dafür. Wer in Bordelle geht, auf Straßenstriche geht oder sonst wo prostituierte Frauen aufsucht – bitte guckt genau hin. Haltet unbedingt Ausschau nach markanten Tattoos. Wenn ihr sowas seht wie seltsame, auffällige Tattoos, bleibt da dran an den Frauen, auch wenn sie euch zunächst abwehren und erzählen, sie machen alles freiwillig und für sich, weil sie es ok finden. Das sagen die meisten, das habe ich auch lange gesagt, selbst während kompletter Ausbeutung. Das ist so im Milieu, dass die Mehrheit der Frauen das sagt und ihre Täter schützt. Sie müssen dem Milieu und den Leuten darin auch loyal sein, was man schon am Anfang lernt bzw. einem die Konsequenzen einer Verfehlung sehr deutlich aufgezeigt werden. Für viele stellen die Ausbeuter auch die Familie und die einzigen Bezugspersonen dar. Viele haben gar kein Opferbewusstsein, wie ich es immer wieder sage, und auch Leute im Feld es bestätigen:
„Es ist ja nicht so, dass eine Frau aufstreckt und sagt: «Ich bin ein Opfer von Menschenhandel.» Opfer zu identifizieren und Beweise zu finden ist mit sehr grossem Aufwand verbunden und mit viel Ermittlungsarbeit. Das sind komplexe Verfahren, die Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern. Zudem ist es den meisten Prostituierten gar nicht bewusst, dass sie Opfer sind. Sie stellen es beispielsweise nicht infrage, dass es nicht normal ist, Schulden für eine Reise von Thailand in die Schweiz von 30’000 Franken abbezahlen zu müssen. Bis sich Prostituierte selber als Opfer sehen, bis sie den Druck nicht mehr aushalten, braucht es enorm viel.“ – Simon Steger, Chef der Fachgruppe Sexualdelikte der Luzerner Kriminalpolizei – https://www.zentralplus.ch/es-braucht-enorm-viel-bis-prostituierte-den-druck-nicht-mehr-aushalten-1915543/
Meist sagen die Frauen selbst dann noch nichts, wenn sie heftigste Drohungen und/oder Gewalt erleben. Angst führt auch nicht zwangsläufig dazu, sich als Opfer zu sehen, denn die Täter reden den Frauen ein, dass sie ja selbst schuld an der Gewalt, der Drohung, etc. seien, sie müssten sich eben korrekt verhalten und dann sei alles gut. Oft ist es auch ähnlich wie bei häuslicher Gewalt, wo die Betroffenen lange nicht trennen und viel mitmachen, aber ich brauche es hier nicht zu erklären. Ihr wisst denke ich, was ich meine.
Es braucht Geduld und die Frauen müssen wissen: da ist jemand, wo sie hin können, wenn sie bereit dazu sind, Hilfe anzunehmen, wenn sie das Lügengeflecht anfangen zu durchschauen und eine Hand brauchen und wollen, die stark ist und sie aus dieser Parallelwelt führt. Manche Zuhälter lassen von „ihren“ Frauen ab, wenn diese zu alt sind, zu „verbraucht“ und daher zu kaputt sind, „Abstand“ bezahlt haben, wenn sie sich „freigekauft“ haben oder „freigekauft“ wurden (wobei sie bei letzterer Alternative dann meist wieder einem Zuhälter „gehören“ oder einem Freier, wo sie dann als „Dank“ gratis Sex abliefern müssen). Ich war nach langer Ausbeutungszeit ein psychisches Wrack, nicht mehr derart einträglich, was der Anfang des Lösungsprozesses und meines Ausstiegs war (https://sandranorak.com/…/uber-trauma-uber-den-ausstieg/). Dem Zuhälter aber einfach von heute auf morgen „kündigen“ geht meist nicht. Mein „Freikauf“ fand letztlich in der Form statt, dass ich nach kompletter Ausbeutung noch eine gewisse Zeit bestimmte Summen meiner Einnahmen abzugeben und mich an bestimmte Regeln zu halten hatte – nach der „alten Schule“ des Milieus. Viele Zuhälter lassen aber auch unter keinen Umständen ab, nennen Summen und Bedingungen für den „Freikauf“ und wenn die Frauen all das erfüllen, dann wars das nicht, sondern es kommt die nächste Forderung – sie nutzen das Wort „Freikauf“, es findet aber keiner statt. Dieses System ist so krank. Allein über was man hier sprechen muss. Dass Frauen, die oft in mehrstelligen Zahlenbereichen ausgebeutet wurden, noch versuchen müssen sich durch weitere Geldabgaben freizukaufen. Die Frauen wissen letztlich nie, was sie „auf dem Weg raus“ noch alles erwartet. Es ist ungewiss und ein Spiel mit dem Feuer. Wird es gut gehen oder wird es schief gehen? Keine weiß das im Vorhinein. Sie benötigen Hilfe.
Das Rotlicht ist eine Parallelwelt, die nach außen hin so tut, als wäre sie keine, um ihren Profit zu schützen, um ihren Profit nicht zu verlieren, um weiter Teil eines Milliardengeschäfts sein zu können, das meist auf dem Rücken und durch die Ausbeutung der Schwächsten dieser Gesellschaft am Leben erhalten wird.
Fazit von diesem Beitrag:
Tattoos können Zeichen von Zwang und Ausbeutung sein. Sie sind es sehr oft. Schaut bitte genau hin. Man erkennt diese markanten Eigentumstätowierungen als solche, wenn man seinen Blick darauf schult. Bei mir haben es sogar viele Freier erkannt und mir grinsend nach der Inspektion meines Tattoos gesagt: „Ah, du gehörst bestimmt jemandem!“ Und zwar auch sehr unintelligente Freier. Wenn denen sowas auffällt, dann kann jeder andere auch lernen, das zu sehen.
Mein Tipp also: schult eure Blicke, falls sie noch nicht geschult sind.
Und klärt junge Mädchen und Frauen auf, soviel ihr könnt.
Die Arbeit mit jungen Menschen bedeutet mir am meisten, wenn ich in Schulen gehe oder in Einrichtungen mit psychisch labilen/kranken Kindern und Jugendlichen, vor allem Mädchen. Da kommt soviel Herzlichkeit, soviel Ehrlichkeit, soviel Dankbarkeit zurück. Sie löchern mich mit allen möglichen Fragen. Ich sehe in den Mädchen immer mich, als ich in ihrem Alter war. Kurz vor dem Abdriften in eine Parallelwelt und unzähligen von sexuellen Missbrauchserfahrungen. Am liebsten würde ich über sie alle eine große Schutzhülle spannen, sodass sie niemals so abdriften können.
Versuchen wir gemeinsam, sie zu schützen.