Angefangen hat es bei mir mit diesem Blog. Zunächst habe ich einfach nur anonym geschrieben, denn ich liebe das Schreiben und fing das schon in sehr jungen Jahren an. Es war eine Art Ventil für mich. Dass ich mich schon früh aufgrund der Situation zuhause ins Internet geflüchtet habe, ist ja bekannt und früher habe ich dann im Internet vor allem auch viele Gedichte und Aphorismen auf einer Literaturplattform geschrieben, mich dort mit anderen Schreibenden ausgetauscht und war auch Teil einer Anthologie. Heute kann ich im Generellen aber nur ausdrücklich und mit Nachdruck davor warnen, dass Kinder und Jugendliche über ihre Probleme, wie ich damals, im Internet schreiben und darüber erzählen, sei es in Gedichten, Chaträumen, Instagram, Facebook, etc., denn leider gibt es viele, die die wunden Punkte der Kinder und Jugendlichen für ihre Zwecke zu nutzen wissen, so wie es mein Zuhälter dann tat, als ich ihn im Chat kennenlernte. Ihr könnt eure Kinder natürlich nicht dauerüberwachen, aber ihr solltet sie frühzeitig über mögliche Gefahren des Internets aufklären. Das ist zwar leider keine Garantie dafür, dass sie von den Gefahren verschont bleiben, aber jedenfalls eine wichtige und dringend nötige Warnung, so dass sie zumindest sensibilisiert sind und bestimmte Muster und Vorgehensweisen erkennen können.
Das Schreiben auf diesem Blog war anfangs vor allem eine Art Auseinandersetzung mit meinen ganzen Jahren im Milieu, denn vieles habe ich zunächst selbst überhaupt gar nicht richtig einordnen können. Dass es sehr vielen Betroffenen ähnlich geht, merke ich auch daran, dass mich immer wieder Frauen aus der Prostitution anschreiben und mir sagen, dass ihnen meine Texte helfen oder es ihnen hilft, wenn sie mich sprechen hören, um die ganzen (psychologischen) Zusammenhänge und Mechanismen und somit auch ihre eigene Geschichte in ihrer jeweils individuellen Ausprägung vollends verstehen sowie teilweise auch erst aufarbeiten zu können. Vor allem im Bereich der Loverboy-Methode. Außenstehende, die nicht in diesem Thema drin sind, können das häufig nicht nachvollziehen, da ist es mehr als gut mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten und sich austauschen zu können.
Durch diesen Blog bekam ich dann jedenfalls nach und nach Kontakte zu anderen Menschen, die in diesem Bereich aufklären und Stück für Stück habe ich meine Anonymität immer weiter aufgegeben. Das war alles ein Prozess. Ich wusste, dass es unschön werden wird, wenn ich anfange, mein Gesicht zu zeigen und aus der Anonymität heraus zu treten, aber irgendwann war ich an dem Punkt angelangt, dass ich es dennoch tat.
Und ja, es wurde sehr unschön, aber damit hatte ich gerechnet und dies in Kauf genommen.
Wenn ich heute über die Straße gehe, erkennen mich manche als diejenige, die mal „käuflich“ war, als diejenige, die auf einen Loverboy „reingefallen“ ist, sich für diesen prostituierte und dann noch für sich selbst, weil sie nach diesen Erfahrungen den Absprung nicht gleich geschafft hat. Von der Loverboy-Methode betroffen zu sein bedeutet generell häufig ein großes Stigma, die Betroffenen werden nicht selten als „dumm und naiv“, als „selbst schuld“ bezeichnet. Dass es hierbei um psychische und seelische Gewalt geht, um Menschenhandel und Zwangsprostitution, ändert an den niveaulosen Kommentaren mancher nichts. Eine körperliche Verletzung, die einem zugefügt wird, ist sichtbar. Eine seelische Verletzung und emotionale Gewalt sowie Abhängigkeit nicht. Viele Menschen glauben nur das, was sie sehen können.
Loverboy-Fälle fallen nicht grundlos unter Menschenhandel und Zwangsprostitution, aber dennoch wird oft mit dem Finger auf die Betroffenen gezeigt und ihr Erlebtes als nicht so schlimm abgetan. Sie werden nicht selten behandelt, als wären sie halt einfach dämlich gewesen. Dabei wird verkannt, dass der Täter bei der Loverboy-Methode von Anfang an besonders listig, perfide und durchdacht vorgeht, weil er gezielt oftmals viel Zeit investiert, um emotionalen Beziehungsaufbau zu betreiben, nur mit dem Ziel, die Frau später in die Prostitution zu drängen, wenn sie emotional abhängig ist, um sie dort auszubeuten. Täter, die besonders listig vorgehen und ihre Tat derart planen, die zeigen eine höhere kriminelle Energie als diejenigen, die „einfach“ spontan handeln. Dann davon zu sprechen, dass ja alles gar nicht so schlimm war und die Betroffenen als dumm zu bezeichnen und einfach einen Strich drunter zu ziehen, was ich so oft höre und lese, zeugt von wenig Verständnis für die Thematik, denn es richtet den Blick weg vom Täter und blendet das die Tat und gerade das Deliktsphänomen prägende Problem, die eingesetzte kriminelle Energie in Form der listigen Vorgehensweise, die auch eine gewisse Professionalität der Tatbegehung voraussetzt, gänzlich aus.
Ich habe lange in einem Keller im Bordell gelebt, wurde u.a. dort im Bordell ausgebeutet, habe mich von Null an alleine ohne Hilfe von außen aus dieser Situation Schritt für Schritt rausgearbeitet, mein Abitur per Fernschule nachgeholt und ein Jurastudium in Angriff genommen, nur um gegen die Missstände im Bereich von Prostitution und Menschenhandel, die ich gesehen habe, zu kämpfen. Ich verbringe seit 2012 damit, Bildung nachzuholen und zwar alles ohne Hilfe oder Unterstützung von außen. Jeden kleinen Schritt, den ich in den letzten knapp 10 Jahren gegangen bin, raus aus dem Milieu in Richtung Leben, den habe ich mir selbst und allein erarbeitet. Ich komme übrigens nicht aus einer Akademikerfamilie, niemand in meiner Familie hat Abitur, niemand hat studiert. Nichtakademiker-Kinder haben es generell, allein schon ohne dabei meine Vergangenheit zu betrachten, viel schwerer im Jurastudium[1]. So richtig angefangen zu glauben, dass ich es auch wirklich schaffen kann, habe ich erst, als ich dann in der Jura Zwischenprüfung in einer Prüfung die 17-Punkte Marke erreicht habe und in diesem Zeugnis weitere Klausuren im zweistelligen Bereich hatte. Wer sich mit Jura und diesem schrägen Punktesystem auskennt, wo man oftmals schon bei 4 Punkten Hurra schreit und den Freudentanz seines Lebens aufführt (mit 4 Punkten hat man bestanden), obwohl die Punkteskala bis zu 18 Punkten reicht (die allerdings nahezu niemals in der gesamten BRD vergeben werden), der weiß, wie selten auch 17 Punkte vergeben werden. Neben dem Jurastudium habe ich noch dazu Aufklärungsarbeit ohne Ende betrieben, die u.a. diverse Beratungen in der Politik und die Arbeit mit jungen Menschen in Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen umfasst. Nächste Woche habe ich wieder eine (online) Veranstaltung in einer Schule mit 15-/16-Jährigen, um das zu machen, was eigentlich unser Staat tun sollte und nicht ich in meiner Freizeit: aufklären und warnen vor den Gefahren des Milieus und dem Abrutschen in dieses. Die Arbeit mit Medien ist nur ein kleiner Teil meiner Arbeit. Vieles arbeite ich im Hintergrund ab, wovon die Öffentlichkeit überhaupt gar nichts mitbekommt.
Ihr könnt jetzt also selbst für euch beantworten, ob ihr findet, dass ich dumm bin, bei all den Sachen, die ich mache. An einen Loverboy zu geraten und von diesem ausgebeutet zu werden hat nichts mit Dummheit zu tun. Es ist seelische Gewalt, das gezielte Ausnutzen von Vulnerabilität und „emotionalen Engpässen“ von meist Minderjährigen und Heranwachsenden, es ist List und es sind die sexuellen Gewalterfahrungen, die einen kaputt machen und oft daran hindern, wieder ins normale Leben zurückzufinden. Wer nur „dumm und naiv“ sagt, der macht es sich ein bisschen zu einfach – viel zu einfach.
Was ich jedenfalls in all den Jahren Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit alles abgekriegt habe an Hassnachrichten, Beleidigungen, Beschimpfungen bis dahin, dass mein Wohnort von Profiteuren des Milieus öffentlich breitgetreten wurde, darüber spreche ich nicht oft, jedenfalls nur intern mit mir vertrauten Personen. Die positiven Rückmeldungen überwiegen zwar deutlich, aber die negativen „Botschaften“ sind dennoch viele und haben es in sich. Diese kommen meist von Profiteuren, oft von Freiern und Bordellbetreibern.
Es ist verständlich, dass ich diese störe. Die Freier wollen sich den Sex mit Prostituierten natürlich nicht verbieten lassen und Freier sitzen überall in der Gesellschaft, in allen Berufszweigen und auch in hohen Positionen. Es wird ja immer die Zahl von 1,2 Millionen pro Tag aufgeworfen, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen.[2] 1,2 Millionen, JEDEN TAG! Diese Zahl muss man sich schon einmal auf der Zunge zergehen lassen. Und das sind ja nicht immer die gleichen. Diese Freier bangen natürlich alle um „ihr Recht auf Sex(kauf)“, wenn sie über mich und meine Arbeit stolpern, die auch darin besteht, sich für das Schwedische/Nordische Modell einzusetzen. Allein dies zeigt, dass die Zahl der Menschen, die meine „Gegner“ sind, im Millionenbereich liegt – und das waren erstmal nur die Freier. Die Bordellbetreiber wiederum werden arbeitslos, wenn das Nordische Modell kommt. Zwischen arbeitslos sein und gutes Geld verdienen durch den Profit an Prostituierten liegt ein großer Unterschied. Niemand von denen möchte auf seinen Gewinn verzichten.
Dass Zuhälter und Menschenhändler mich ebenfalls nicht toll finden, liegt auf der Hand. In einem Land, in dem Sexkauf nicht erlaubt ist sowie das Profitieren an den prostituierten Menschen generell und komplett untersagt ist (keine 30, 40, 50 % und all sowas), ist es wesentlich unattraktiver und unlukrativer für sie, weil die Nachfrage und damit der Markt schrumpft und sie viel vorsichtiger sein müssen. Heute stehen die Zuhälter hier bei uns sichtbar überall rum. Unsere Gesetze sind so dermaßen schlecht, dass die sich nicht mal verstecken müssen, weil sie sich so sicher fühlen. Und das Traurige ist, sie sind sicher. Man kann viele von denen oftmals sehen, aber machen kann man meist nichts. Die deutsche Gesetzgebung geht grundsätzlich von der Freiwilligkeit der Frauen in der Prostitution aus und so wird eben gesagt: „Die wollen sich doch prostituieren, die wollen das doch so.“ Dies hilft den Kriminellen noch dazu.
Dann gibt es noch die selbsternannten „Sexarbeiterinnen“, die auch nicht gerade begeistert von mir sind, denn wenn das Nordische Modell kommt, wird natürlich die Nachfrage sinken. Als Mensch und als Frau stehe ich letzten Endes hinter jeder Frau in der Prostitution, auch wenn sie das Rotlicht verherrlicht und sagt, dass sie das alles toll findet. Wie ich das immer wieder erzähle, habe ich das nach außen hin auch gesagt, nicht weil es toll war, sondern erstens, weil ich während meiner Ausbeutung „geschult“ wurde, was ich sagen und nicht sagen darf (auch in Bezug auf andere Bereiche) und zweitens, weil ich dann nicht wollte, dass Menschen merken, wie tief ich eigentlich mittlerweile gesunken bin und wie nahe ich am Abgrund stehe. Wer gibt schon gerne nach außen hin zu, wie schlecht es einem geht. Außerdem tut es verdammt weh, wenn man sich eingesteht, dass das alles Gewalt ist, was man da jeden Tag erlebt, man für sich aber keinen Weg aus dieser Gewalt, keinen Weg zurück, sieht. Wenn man keinen Ausweg sieht, dies kann auch rein subjektiv der Fall sein während es objektiv gesehen Wege gäbe, dann ist es einfacher nach außen hin zu sagen, dass es keine Gewalt und alles super ist. Das ist eine Art Selbstschutzmechanismus und davon berichten sehr viele Frauen, die in der Prostitution waren und nun draußen sind. Aber sei es drum, ich möchte niemanden entmündigen, dies wäre übergriffig und steht mir nicht zu, daher: selbst wenn manche von diesen „Sexarbeiterinnen“ es wirklich ok finden, dann sollen sie das doch bis an ihr Lebensende machen. Niemand hält sie davon ab. Was ich allerdings mehr als unsolidarisch finde ist, dass manche von ihnen so tun, als wären sie die Masse, die Prostitution als ihren Traumberuf ansieht. Das stimmt hinten und vorne nicht und diese Beschönigungen sind einfach nur ein Hohn und bringen andere junge Mädchen und Frauen in Gefahr, die aufgrund von Verharmlosungen des Gewerbes viel einfacher in dieses abrutschen können. In den Bordellen sitzen zum größten Teil blutjunge Frauen aus dem Ausland, die oft nicht einmal die deutsche Sprache richtig können und der „Freund/Mann“, der Zuhälter, dahintersteht und kräftig abkassiert. Als Covid-19 ausbrach und die Bordelle schließen mussten, hat man gesehen, wieviel Geld die meisten Frauen haben – so gut wie nichts. Die saßen vorher Wochen, Monate und oft auch Jahre in den Bordellen und haben nicht mal eine Wohnung, in welche sie bei Schließung der Bordelle hinkonnten. Manche hatten nicht mal Geld für ein Ticket in ihr Heimatland. Dies ist die Realität, wie sie in der Masse stattfindet, die von niemandem weggeredet werden kann, nur weil sie manchen aufgrund bestimmter politischer Interessen nicht gefällt. Ich würde mich auch darüber freuen, wenn die Situation besser wäre als sie ist, aber das ist sie leider nicht. Die diversen Studien zur Gewaltbelastung in der Prostitution sind ebenfalls da und belegen das Ausmaß des großen Übels. Und mal abgesehen von meinen Erfahrungen in Bezug darauf, dass die Masse der Frauen in der Prostitution fremdbestimmt ist und von dritten Personen kontrolliert und ausgebeutet wird, was ich immer wieder erzähle, existieren unzählige andere Erfahrungsberichte darüber, die über den hohen Anteil an Menschenhandels- und Ausbeutungsfällen in der Prostitution in Deutschland berichten. Folgend nur beispielsweise ein Ausschnitt aus einem Interview mit Helmut Sporer, Kriminaloberrat a. D., ehemalige Kriminalpolizei Augsburg, weil von diesen „Sexarbeiterinnen“ auch oft immer damit argumentiert wird, dass wir ja nur 400/500 Fälle im Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung haben und Menschenhandel in Deutschland daher kein großes Problem sei sowie dass sie, die „gänzlich freiwilligen Sexarbeiterinnen“, in der absoluten Mehrheit wären, während Ausbeutung nur ganz am Rande mal vorkäme:
„Die offiziellen Zahlen des BKA zum Menschenhandel sind also nicht aussagekräftig?
Gehen wir nur mal von rund 250.000 Frauen in der Prostitution aus. Diese Zahlen beruhen auf Hochrechnungen aus Städten, in denen recht zuverlässige Zahlen vorliegen. Davon sind 95 Prozent Ausländerinnen, das wären ca. 240.000. Wenn man jetzt nur von 50 Prozent Frauen mit typischem Opferprofil ausgeht, dann ist das eine sechsstellige Zahl. Wenn ich jetzt aber ins „Lagebild Menschenhandel“ des BKA schaue, wie viele Fälle von Menschenhandel finden sich da? 400 bis 500. Zwischen diesen Zahlen klaffen Welten. Das heißt: Nur ein winziger Bruchteil der Opfer wird erkannt. Der Gesetzgeber nimmt also momentan hin, dass der größte Teil der Opfer unerkannt bleibt und die Verbrechen, die an ihnen begangen werden, nicht verfolgt werden. Der Staat wird seiner Verantwortung nicht ausreichend gerecht. Er stellt keine wirksamen Instrumentarien gegen Menschenhändler zur Verfügung. Das heißt: Das jetzige System funktioniert so nicht.“[3]
Eine sechsstellige Zahl = hier 120.000 Betroffene von Menschenhandel und Ausbeutung. Letztlich weiß jeder, der Erfahrung in diesem Bereich hat, dass die 400/500 Fälle im Lagebild nur die aller kleinste Spitze des Eisbergs darstellen, aber wenn wir einmal direkt über eine Zahl, hier von 120.000 Fällen sprechen, dann sollte das doch Anlass zu sehr großer Sorge geben, möchte man meinen. In Deutschland scheinbar nicht, da wird lieber weiter über die fröhliche Sexarbeit gesprochen, während man Menschenhandel und Ausbeutung als Randphänomen deklariert und ausblendet und dann hört man den immer wiederkehrenden Satz: „Wir haben doch schon Gesetze gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution.“ In der Tat, die haben wir, aber wenn es eine geschätzte Anzahl von 120.000 Menschenhandels- und Ausbeutungsfällen in Deutschland gibt und 400/500 Ermittlungsverfahren pro Jahr, die noch keine Verurteilungen darstellen, dann kann jetzt jeder selbst im Stillen für sich beantworten, wieviel unsere Gesetze den Betroffenen helfen. Viele, zu deren politischen Interessen es nicht passt, dass wir eine ganz gewaltig hohe Dunkelziffer haben, tun eben häufig so, als wären diese 400/500 Fälle nicht nur das Hellfeld, sondern als würde quasi kein Dunkelfeld existieren. In Deutschland wollen immer noch so viele Menschen die Augen vor diesem großen Elend verschließen, aber mittlerweile gibt es zu viele Studien, die das Elend belegen, zu viele Menschen, die über das große Ausmaß des Elends sprechen. Wer hier immer noch die Augen davor verschließt, der ist einfach nur in hohem Maße verantwortungslos. Man kann ja gerne unterschiedlicher Meinung darüber sein, welches Prostitutionsmodell und welche Regelungen nun das Beste wären, und ich tausche mich da auch gerne aus, höre mir Argumente an, diskutiere und bin offen für einen ehrlichen Austausch. Wenn hier aber seitens mancher „Sexarbeiterinnen“ ständig das Leid der unzähligen von (meist) Frauen in der Prostitution sowie deren Probleme und Ausbeutungssituation weggeredet und geschmälert wird, die riesigen Missstände ausgeblendet werden, ist keine Diskussion möglich, weil die Ausgangslage nicht stimmt, und hier hört meine Solidarität mit den „Sexarbeiterinnen“ auch auf. Mein Verständnis hört generell bei allen Menschen auf, die bei der ganzen Datenlage und unzähligen Erfahrungsberichten von Leuten aus dem Feld noch behaupten, wir hätten keine großen Probleme mit Menschenhandel, Ausbeutung und Zuhälterei in Deutschland und die das Dunkelfeld quasi ausblenden und sich auf 400/500 Fälle im Lagebild berufen.
Die Liste derjenigen, die mich also als störend empfinden, weil ich das ganze Übel sehr direkt und konstant ausspreche sowie für Gesetzesänderungen eintrete, die komplett konträr zu den politischen Interessen aller Profiteure des Prostitutionssystems sind, ist schon ziemlich lang. Es kommen weitere Personen hinzu, die unmittelbar oder mittelbar von der Prostitution profitieren.
Meine Arbeit in diesem Bereich ist daher nicht nur sehr zeitintensiv, sondern auch regelmäßig sehr anstrengend, um es milde auszudrücken. Mein bisheriger Weg hat mich aber resilient gemacht und vor allem die Rückmeldungen von so vielen Betroffenen haben mich auch immer wieder ermutigt dranzubleiben. Es ist letztlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die Politik nicht nur redet, sondern auch macht. Da können die Profiteure noch so laut sein, es wird eine Veränderung kommen, denn so wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben und wir sind mittlerweile so enorm viele Menschen, quer durch die gesamte Bundesrepublik aus allen Berufszweigen und Schichten, die alle hochaktiv an dieser Veränderung arbeiten und es werden laufend mehr.
Einfach waren meine letzten Jahre Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit nicht, aber das ist ok, denn ich mache das nicht, weil es schön sein soll, sondern weil es mir wichtig ist. Jeder kann versuchen, aus dem, was er erlebt hat, das Beste zu machen. Genau das versuche ich. Schön ist das natürlich nicht, wenn jeder über deine persönlichsten und intimsten Dinge Bescheid weiß. Ich erzähle sie aber trotzdem, denn was ich in diesem Leben und als Person kann ist, mitzuhelfen, Veränderung in diesem Bereich zu bringen. Das denke ich jedenfalls und die letzten Jahre haben gezeigt, dass ich damit nicht ganz unrecht habe. Niemand von uns ist perfekt, jeder hat wohl seine Baustellen. Der Unterschied ist, dass ich Baustellen von mir zeige, weil ich Veränderung möchte, während andere ihre Baustellen für sich behalten. Totgeschwiegen wird in dieser Gesellschaft sowieso viel zu viel. Ich breche damit und nehme Verantwortung dort in die Hand, wo andere sie fallen lassen. Ich möchte kein Teil des Totschweigens und des Akzeptierens von schweren Menschenrechtsverletzungen inmitten unserer Gesellschaft sein. Ich sehe in meiner Arbeit einen Sinn und deswegen ist aus dem anfänglichen Blog schreiben auch mehr bzw. genau genommen eine konstante Arbeit an der Sache geworden.
Bitte unterstützt Frauen, die anfangen, öffentlich über ihre Erfahrungen zu berichten, denn es ist verdammt schwer, verdammt gefahrenbelastet für das weitere Leben (allein schon wegen des großen Stigmas), verdammt anstrengend und kräftezehrend, aber auch verdammt wichtig für die Aufklärung in diesem Bereich. Und es werden immer mehr Frauen, die über ihre traumatischen Erfahrungen in der Prostitution sprechen, um mit den Mythen aufzuräumen.
Wenn diese den Mut haben, das zu tun, so missbraucht sie bitte kein zweites Mal, indem ihr nur ihre Geschichten zeigt, denn das ist schlichte Schau- und Sensationslust. Ihre Analysen und Lösungsansätze sind wichtig. Der Grund, warum ich dies aufwerfe: ich habe anfangs leider ab und an die Erfahrung gemacht, dass insbesondere Journalisten nur einen Aufhänger brauchten, um mit meiner Geschichte etwas „auszuschmücken“. Dabei fühlt man sich ganz und gar nicht gut, denn man gibt nicht solch intime Details preis, um letztlich nur zur Schau gestellt zu werden. Ich möchte nicht, dass andere Betroffene, die anfangen zu sprechen, dieses Gefühl erfahren müssen. Es geht nicht darum, eine Schallplatte zu sein, die zum 100sten Mal das Gleiche erzählt, sondern es geht darum, Veränderungen für jene zu erreichen, die in der gleichen Situation sind wie wir es damals waren. Diese kann man vor allem auch dadurch erreichen, indem man nicht immer nur monoton die Geschichten von Betroffenen und Aussteigerinnen wiedergibt, sondern vor allem auch dadurch, dass man sich ihre Analysen und Lösungsansätze anhört, sich diese zu Herzen nimmt und sich damit auseinandersetzt.
Und wenn eine Frau aus der Prostitution überhaupt nicht über ihre persönliche Geschichte sprechen oder nur kleine Teile davon erzählen möchte, weil es einfach zu intim und zu gefährlich ist (und wenn sie das nicht möchte kann ich das mehr als verstehen, denn mein Leben bedeutet viel Stress und ist auch gefahrenbelastet aufgrund meines offenen Umgangs damit und das braucht man nach so einem Leben, wie man es in der Prostitution schon durch hat, eigentlich gerade nicht mehr, sondern das genaue Gegenteil davon), sie aber dennoch Lösungsansätze bringen kann und möchte, dann sollte man sich genauso anhören, was diese Frau zu sagen hat, denn es geht letzten Endes nicht um unsere individuellen Geschichten und dass wir diese immer und zu jeder Zeit bis ins Detail ausbreiten müssen, sondern darum, wie man anhand unserer Erfahrungen in der Prostitution mehr Schutz für Menschen in der Prostitution herstellen kann. Jemand, der nicht im Milieu war, der nicht in der Prostitution war, der nicht von Menschenhandel betroffen war, der kann zwar studieren und Bücher lesen über das Thema sowie Fortbildungen besuchen, aber das wird niemals die Einblicke geben, die Menschen geben können, die in diesem System waren und die die sehr komplexen Zusammenhänge, psychischen Vorgänge, Ausstiegsschwierigkeiten, Abhängigkeiten, Zwänge, etc. selbst erlebt und jedenfalls durch spätere Aufarbeitung auch verstanden haben.
[1] Jura-Studium: Hohe Hürden für Nichtakademiker-Kinder – Forschung & Lehre (forschung-und-lehre.de)
[2] Prostitution: 1,2 Millionen Männer am Tag – Kultur – Tagesspiegel